Den Boten schlagen @IIDDeutschland


Weil ich grad eine kleine Auseinandersetzung mit einem Verein hatte, mal ein paar Gedanken zum ach so bösen Internet.

Es ist ja momentan viel die Rede von Cybergrooming, von Online-Mobbing und gerne wird auf den Fall in Holland verwiesen, wo ein junges Mädchen ermordet wurde, weil sie Gerüchte auf Facebook verbreitet hatte.

Eine immer wiederkehrende Forderung ist die nach der Kontrolle des rechtsfreien Raumes Internet, damit diese Machenschaften unterbunden werden.

Ich unterstelle Innocence in Danger hier noch nicht mal böse Absicht (in der Tat halte ich die eigentlich komplett für einen ziemlich einseitig orientierten Hühnerhaufen, aber das steht auf einem anderen Blatt), aber auf das Internet einprügeln als den Hort, wo das Böse stattfindet – das hilft nicht. Und eigentlich gehts mir auch nicht um IiD-Gebashe (man tritt nicht auf am Boden liegende ein, die es noch nicht mal wissen), sondern um ein paar Gedanken darüber, was man besser machen könnte. Wenn man so will, eine Art konstruktive Kritik.

Fangen wir beim Online-Mobbing an. Kontrolle der Social Media-Seiten soll helfen, das Problem einzudämmen.

Genausogut könnte man doch versuchen, einen Waldbrand mit einer Feuerpatsche auszutreten. Mobbing ist doch nicht nur Socialmedia. Wer auf Facebook gemobbt wird, wird im Regelfall doch in der Schule oder am Arbeitsplatz nicht in Ruhe gelassen. Und DORT findet meist der viel schlimmere Teil des Mobbings statt. SocialMedia ist *ein* Teil des ganzen Kuchens. Aber gerade Organisationen wie Innocence in Danger konzentrieren sich hier einseitig auf das Internet und hier noch nicht mal auf das komplette Internet, sondern auf den Bereich SocialMedia und Chats. Es fällt auf, dass sie sich auf einige wenige Webseiten eingeschossen haben und die anderen, die es gibt, noch nicht mal ansatzweise auftauchen.

IRC? ICQ? Messenger? Alumni-Plattformen? Geschlossene Foren? Finden für IiD nicht statt.

Stattdessen nennt man knuddels.de als Beispiel. Und natürlich Facebook. Und Twitter.

Man wendet sich gegen „Kinderpornographie“ und glaubt offenbar, wenn man die Kontrollschraube nur streng genug anzieht, hätte man das Problem gelöst.

Man übersieht hier aber komplett, dass das Internet alles andere als ein „rechtsfreier“ Raum ist. Die florierende Abmahnindustrie beweist das zum Beispiel sehr schlagend. Man kann sich nicht mehr hinter einer IP-Adresse verstecken. Und sollten die Pläne von Censilia zur VDS tatsächlich durchkommen, ist das Thema eh durch. Dann helfen noch nicht einmal mehr TOR-Nodes, um eine gewisse Anonymität im Netz sicherzustellen.Und mit IPv6 potenziert sich das ganze noch, da dann jeder einzelne Anschluß seine eigene IP-Adresse zugewiesen bekommt, die sich nicht mehr ändert. Quasi der Personalausweis fürs Netz, der jederzeit ohne unser Wissen abgerufen werden kann.

Täter sind nicht blöd. Leider. Es würde so viel einfacher machen, wenn sies denn wären. Und die wissen das alles. Demzufolge sind die Verbreitungswege der Bilder auch eben NICHT mehr das Internet. Es wird getauscht, ja. Aber nicht über nachvollziehbare IP-Adressen. So doof sind die meisten nicht mehr.

Der Postweg, der Direkttausch mit dem Austausch von USB-Sticks…all das wird von den „SocialMedia“-Maßnahmen in keinster Weise erfaßt. Und selbst wenn man einen Weg finden würde, diese Bildertauschaktionen zu kontrollieren (was einen Ausmaß an Kontrolle erfordern würde, der George Orwell in 1984 wie eine Sommerfrische aussehen lassen würde), würde man damit eins nicht verhindern:

Den Missbrauch.

Denn  die Kinder, die auf diesen Bildern zu sehen sind, werden nicht im Internet missbraucht. Sie werden im Hier und Jetzt missbraucht. Und man muss Lösungen finden, die genau diesen Kindern einen gangbaren Ausweg bieten. Denn missbrauchte Kinder werden von den Tätern in einem Zustand gehalten, wo ihnen suggeriert wird, dass sie aus der Nummer nicht mehr rauskommen und ihnen keiner hilft. Sei es, dass SIE dann verantwortlich sind, dass die Familie zerstört wird, sei es, dass gedroht wird, sie kämen ins Heim, wo es noch viel schlimmer wird…die Palette der Grausamkeiten ist so groß wie gemein.

Eine Hotline wie N.I.N.A. wäre eine tolle Sache – wäre sie nicht kostenpflichtig. IiD hat eigentlich mehr als genug Geld, um diese Hotline notfalls auch kostenfrei zu betreiben. Warum also den Weg der Kostenpflichtigkeit? Ich hab bislang noch kein Argument gesehen, was mich überzeugt hätte. Und die Erreichbarkeit dieser kostenpflichtigen „Hotline“ ist zum Jaulen. Eine Hotline, die den Namen verdient ist 24/7 online. DANN kann man sich auch über eine etwaige Kostenpflichkeit unterhalten.

Denn das Hauptproblem von NINA: Eine kostenpflichtige Hotline ist eine Hemmschwelle, die es zu überwinden gilt. Und gerade in diesem Bereich ist die vielgepriesene Barrierefreiheit ein absolutes Muss. Die Angebote müssen erreichbar sein, sie müssen kostenfrei sein und sie müssen vor allem eins: HELFEN.

SmartUser hilft nicht, denn es erlegt den Kindern eine Verantwortung auf, die sie nicht schultern können, ihnen fehlt der Erfahrungshintergrund, um sich bei den teils furchtbaren Erlebnissen abgrenzen zu können. Und die einseitige Konzentration auf Cybergrooming ist auch nicht sonderlich hilfreich.

Denn wie sieht der Regelfall beim Missbrauch aus? Das sind doch keine Fremdtäter, die hier Hand an die Kinder legen. Das sind Familienangehörige, dass sind Menschen aus dem nahen Umfeld des Kindes. Menschen, die das Kind und seine Situation genau kennen. Es ist kein Zufall, dass es fast ausschließlich Kinder trifft, die zu Hause recht exponiert stehen, die keinen haben, an den sie sich wenden können. Die vor dem Missbrauch schon vernachlässigt waren.

Cybergrooming mag ein Problem sein – aber es ist vernachlässigbar gegenüber dem ziemlich großen Problem, was wir in Institutionen und in Familien haben. Die kirchlichen Fälle sind noch nicht aufgearbeitet und die Kirchen machen gerade einen verdammt guten Job darin, dass es auch nie aufgearbeitet wird. Die Odenwaldschule übt sich in duck&cover – ich hoffe, der Laden geht demnächst pleite. Eine Existenzberechtigung hat der in meinen Augen nicht mehr.

Sportvereine sind immer noch groß darin, von „Einzeltätern“ zu schwafeln, aber vernünftige Präventionskonzepte sehe ich hier nicht, auch keine Strukturen, die es Tätern schwerer machen würden, sich an den Kindern zu vergreifen.

Das sind unsere Baustellen, die wir im Zusammenhang mit Missbrauch und Prävention haben. Wenn wir DAS in den Griff bekommen und die Täter endlich so entmutigen können, dass sie die Finger von den Kindern lassen, eben weil sie sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Kinder die Schnauze halten – erst dann haben wir wirklich etwas für die Prävention getan.

Aber macht ruhig weiter Kunstaktionen. Schöne Bilder sind ja auch was wert.

Jaja, ich weiß, ist für traumatisierte Kinder. Aber wer glaubt, dass eine Kunstaktion denen hilft, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Gestaltungstherapie sieht anders aus, liebe Leute.

 

Veröffentlicht am 5. Dezember 2012, in Allgemein. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 6 Kommentare.

  1. Ein kleines bisschen Off Topic aber verwandt:
    http://www.clicsargent.org.uk/content/no-child-cancer-left-out
    Eine Untersuchung in Endland ergab, das an Krebs erkrankte Kinder im Grundschulalter, die nach einer Therapie wieder die Schule besuchen in vielen Fällen ausgegrenzt werden und teilweise von Bullying und Hänseleien betroffen sind. Und die Schulen bekleckern sich nicht mut Ruhm, denen zu helfen.

    Auch das passiert eben in der unmittelbaren realen Umgebung und nicht im Internet.

    Ich weiß nichts über die Verhältnisse in Deutschland, vermutlich hat es noch niemadn untersucht. ABer ich vermute, dass es bei uns nicht sehr viel anders aussieht, auch nach dem, was ich hier über die ein oder andere Schule höre, wo Runtermachen und Bullying von Schülern, teilweise nicht nur mit Duldung durch Lehrer sondern auch durch diese selbst, durchaus üblich ist, z.B. um Schüler, die nicht zum „Elite“image einer Schule passen möglichst durch freiwilligen Schulwechsel loszuwerden.

    • Das ist genau das, was ich meine. Den Kindern muss geholfen werden. Dauerhaft und nachhaltig.

      Inselaktionen helfen nicht. Sie werfen ein Schlaglicht und das wars dann aber auch wieder.

      Und Lehrer, die Kinder, aus welchem Grund auch immer, bewusst ausgrenzen und mobben, gehören aus dem Schuldienst entfernt. Diskussionlos.

      • Naja Lehrer die Mobben sind das eine. Zu meiner Schulzeit war es eher so das die Lehrer es kein Stück interessiert hat. Dann hieß es immer „Hab dich nicht so“ oder „So schlimm ist das nicht“ ja wie schlimm das ist hat man an meinen Noten gesehen.

        Diese Apathy gegenüber realem greifbaren Mobbing oder Gewalt gegenüber ist was mich zum Teil heute noch beschäftigt. Ich glaub daher beziehen sich IiD und Co auch gerne auf das Internet das es nicht vor der eigenen Haustür ist und man sich mit den Konsequenzen nicht ganz so auseinandersetzen muss. Von der Ferne aus lässt es sich immer gut kritisieren.

  2. Eines will ich jetzt noch zu Mobbing einwerfen:

    Ein großes Problem, das ich bei Bullying sehe ist, dass die Daten erhalten bleiben. In Veranstaltungen zu genau diesen Themen sage ich den Kindern immer:
    „Mobbing ist immer fies! Ich wünsche es niemanden von euch, dass es euch passiert – und hoffe, ihr tut es auch nie jemanden an! [ …]
    Und Mobbing im Internet ist noch eine Stufe fieser: Wenn ihr über jemanden anderes einmal etwas falsches oder böses hintenrum erzählt, schläft das – ohne weitere Nahrung – irgendwann wieder ein.
    Schreibt ihr das aber irgendwo im Web, bleibt es bestehen – sei es auf den Servern, wo die verschiedenen Plattformen wie FB, SchuelerVZ oder was auch immer betrieben werden oder sei es, dass es ein paar Leute auf ihren Rechnern speichern. […]“

    Ich versuche auch immer wieder, an die Kinder (ja, es sind da in der Regel noch Kinder – so 10 bis 13/14 Jahre) zu appellieren, dass sie – wenn sie es mitkriegen, dass so etwas läuft, nicht nur nicht mitmachen, sondern auch aktiv werden.

    Da ich viele der Kinder mehrfach in solchen Workshops hatte, hoffe ich mal, dass es zumindest bei einigen auf offene Ohren gestoßen ist.

  1. Pingback: Medienkompetenz, die 28. | juna im netz

warf folgenden Kuchen auf den Teller