Piraten


*seufz*

immer wenn ich mich über Daniel Schwerdt und Kollegen so richtig freue, weil die gerade schweinegeile Arbeit abliefern, kommt von den Piraten was rein, das so weit jenseits der Realität ist und so sehr von Wunschdenken geprägt, dass ich mich frage, wo man solche Leute heutzutage noch ausbuddelt.

Eins vorweg: Idealismus ist super. Brauchen wir wieder viel mehr in der Politik, die von zynischen alten Menschen geprägt wird, die nur noch die eigenen Interessen im Sinn haben und sonst nichts.

Mehr Idealismus – aber verfallt doch bitte nicht ins andere Extrem und landet im Wolkenkuckucksheim.

Globalisierung als Ideal um die Umweltprobleme zu lösen. Man muss nur ein bisschen höfliche Nachbarschaftshilfe walten lassen.

Dass die Globalisierung vor allem eins bewirkt hat, nämlich dass die Armen noch ärmer sind und die Reichen nicht mehr wissen, wie sie laufen sollen, weil denen die Geldbündel aus dem Arsch rieseln, wird an der Stelle mal völlig ausgeblendet. Globalisierung ist toll.

Wie sehr der Faktor „Mensch“ von Andreas Brühl ignoriert wird, sieht man an diesem Satz:

Rational, wie ich nun mal gerne an Problemstellungen herangehe, vernachlässige ich bei dieser Betrachtungsweise vergangene Konflikte und aktuelle Streitigkeiten. Die Enthüllungen der letzten Wochen hinsichtlich des Umfangs der offenbar alltäglichen weltweiten Überwachung zwingen beispielsweise zu kurzfristigen Reaktionen. Langfristig gesehen ist das aber nicht der Massstab für die Beziehungen Deutschlands zum Rest der Welt.

Oh mann, wo fang ich denn da an?

Zunächst einmal: Man *kann* vergangene Konflikte und Steitigkeiten nicht vernachlässigen. Sie spielen *immer* rein. Geh nach Griechenland, geh nach England – Rivalitäten zwischen Ländern gibt es immer. Mal mehr, mal weniger ernst zu nehmen, aber sie sind da. Und die kann man auch nicht wegdiskutieren.

Es sagt sich so leicht: „Staatliche Grenzen sind was für Kleingeister“ – aber diese Grenzen schützen auch unsere Lebensweise. Denn selbst wenn ich nichts gegen ein wenig norwegische Zivilcourage hätte oder gegen ein wenig dänische Herzlichkeit: Auf die ungarischen Rassisten kann ich zum Beispiel gut verzichten. Und SO weit weg ist Ungarn ja nu noch nicht.

Europa befindet sich derzeit in einem Umbruch, die Verwerfungen sind tiefgreifend und werden von keinem noch so richtig überblickt. Umso wichtiger ist es aber bereits jetzt, Fehlstellungen zu korrigieren.

Die EU ist zutiefst undemokratisch – da hilft auch das Feigenblattparlament nix. Die Kommissare sind diejenigen, die gewählt werden müssen und nicht werden. Das muss sich ändern. Das „turnusmäßige“ Austauschen des Ratspräsidenten muss auch aufhören. Die müssen alle gewählt werden, in einer Europawahl, die auch den Namen wert ist.

Die Kommissare müssen Ministerrang kriegen und vor allem ne Aufsicht. Nämlich das Parlament. Dass die so wie bisher lustig und fröhlich irgendwas in irgendwelchen Hinterzimmern auskungeln: Das muss ebenso aufhören.

Und *dann* können wir uns auch darüber unterhalten, welche Befugnisse Europa gegenüber den Mitgliedsstaaten hat.

Und welche nicht, Herr Schäuble. Herr Friedrich. Frau Merkel.

Man muss vor allem endlich mal sauber zwischen Firmen und Staaten trennen – das geschieht mir viel zuwenig. Die Telekom ist kein Staat. Und Deutschland kein Unternehmen.

Die Telekom kann nur dann die Netzneutralität das Klo runterspülen, wenn der Staat das zuläßt. Wenn sich ein Herr Rösler also hinstellt, hilflos mit den Armen wedelt  und sagt: „Ist Vertragsfreiheit, kann man nix machen“ dann ist das schlichtweg gelogen.

Natürlich *kann* man was machen. Herr Rösler will nur nicht.

Und genau hier liegt das Problem.

Es ist schön, dass Herr Brühl eine Welt postuliert, wie sie *vielleicht* aussieht, wenn wir in 200 Jahren noch mal nach Europa gucken. Aber das tut sie nur, wenn wir HIER und JETZT Realpolitik betreiben. Das heißt:

– rigoroses Einschreiten beim zunehmendem Umbau unserer Gesellschaft in einen Überwachungsstaat. Wir sind bereits zu weit auf diesem Weg gegangen als das wir auch nur noch einen Schritt weiter gehen dürften.

– Umbau der EU zu einem demokratischen Gebilde und weg von der reinen Verwaltung, die sie jetzt ist. Die EU-Strukturen sind die einer Exekutive, aber ihre Kompetenzen legislativ. Das ist schlimmer, als man derzeit vielleicht glauben mag

– Re-Demokratisierung der Länder, die derzeit wieder zurück in die Diktatur fallen. Allen voran Ungarn

– Re-Kapitalisierung der „Krisen“staaten sowie Entmachtung der Rating-Agenturen.

Wir haben genügend zu tun bei dem wir Menschen brauchen, die Visionen haben und nicht traumtanzen.

Wir brauchen Leute, die andere mitreißen können. Und keine Wolkenkuckucksheimbewohner.

Der @Netnrd, Daniel Schwerdt ist einer der Piraten, die mit beiden Beinen auf der Erde stehen und trotzdem Visionen hat. Hallo Herr Brühl. Bitte eine Scheibe abschneiden.

Und bitte aufhören, die tatsächlichen Probleme, die wir haben, zu verniedlichen. Danke.

Veröffentlicht am 29. Juli 2013, in Allgemein. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 10 Kommentare.

  1. da die EU nicht als Vertretung der Einwohner, sondern als wirtschaftsgemeinschaft gedacht ist, ist die jetzige Konstellation nur folgerichtig; und unsere Politiker wirtschaftshörig oder von ihr bezahlt sind, wird sich daran auch nichts ändern.

    • Wundert das irgendjemanden? Wenn wir Deutschen unsere ausgedienten Politiker (Stoiber, Öttinger, Guttenberg – de Maizière als nächstes?), die hier zuhause wegen diversen Geschichten kein Bein mehr auf den Boden bekommen, auf die EU-Ebene abschieben, wird/ist das eine Totgeburt.

      Auf diese Art wird es niemals genug Vertrauen in eine gemeinsame Verfassung geben können.

  2. Tja nun der vorherrschende Glaube ist nunmal „Der freie Markt regelt sich selber (TM)“.
    Und da wie JoyntSoft schon erwähnt hat alles um die Kohle geht und NICHT um das was wirklich wichtig ist, nämlich der Mensch und dessen Lebensumgebung, kommt sowas zustande.
    Wenn es denn überhaupt aus seiner eigenen Feder stammt und nicht von unseren GuttiFruttiDissertationsverfassern verbrochen wurde 😛

    • Hab ich mir alles selber aus den Fingern gesogen. Mag nicht alles wasserdicht sein, aber dazu steh‘ ich.

      Warum ich für “Der freie Markt regelt sich selber (TM)” stehen soll, ist mir nicht ganz klar – ich bin nur der Meinung, dass die Zugehörigkeit zu einer Nation Glückssache und keine Leistung ist. Gerechtigkeit und Gleichheit gilt für alle Menschen, nicht nur für die des eigenen Landes.

      Gruss,
      Yoga

      • Er ist manchmal etwas verwirrt, unser IT-ler, aber ich glaube, er meinte nicht dich, sondern das als Allgemeinaussage *g*

  3. Hallo Tante Jay,

    erstmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meinen Blog zu lesen und noch viel mehr, ihn zu „sezieren“. 😉

    Zunächst: Sowas wie “Staatliche Grenzen sind was für Kleingeister” hab‘ ich nie gesagt oder geschrieben.

    Du schreibst: „Es ist schön, dass Herr Brühl eine Welt postuliert, wie sie *vielleicht* aussieht, wenn wir in 200 Jahren noch mal nach Europa gucken.“ Zugegeben, was ich in meinem Blog formuliert habe, ist zum Teil ein Luftschloss.

    Aber man braucht eine Vision vor Augen, wenn man etwas verändern will. Auf dem Weg zu dieser Vision wird viel Wünschenswertes auf der Strecke bleiben. Wenn man von Anfang an kleine Brötchen backt, bleibt nach der Hälfte des Weges nichts mehr übrig.

    Deswegen will ich meinen Beitrag so verstanden wissen: Ich gehe nicht davon aus, dass alles Friede-Freude-Eierkuchen ist, sobald die Piraten im Bundestag sitzen. Natürlich müssen wir uns auch mit bestehenden Absprachen und Verträgen auseinandersetzen – und zwar kritisch. Denn irgendwann will man auch selber mal gestalten können. Wenn aber alles schon festgeklopft ist und kein Spielraum mehr da ist, nutzt auch ein Regierungswechsel nicht mehr, da man nur in den alten Pfaden trampeln kann.

    Ich will über den Tellerrand schauen, und dazu erlaube ich mir, alte Zöpfe mal probeweise abzuschneiden.

    Das Schlimme ist, dass all die, die vom jetzigen Zustand profitieren, einem Steine in den Weg legen werden: Die Regierung, die Banken, die Wirtschaft – dort, wo Macht und Geld gebündelt auftreten, dort wird momentan die Politik gemacht, die Diskussion in die gewünschte Richtung gedreht, hinter verschlossenen Türen bestochen, Absprachen gemacht und gebrochen.

    Wir kleinen Piraten haben dagegen – realistisch gesehen – kaum eine Chance. Aber werden wir deswegen aufgeben? Im Gegenteil! Wir werden diese Zustände solange anprangern, bis genügend Wähler verstehen, dass es an der Zeit ist, sich ein Stück Verantwortung und Selbstbestimmung zurückzuholen!

    Klingt wie Träumerei? Ja, aber auch das Folgende klingt wie Träumerei, und ich käme nicht im Traum 🙂 auf die Idee, Dich dafür zu kritisieren:

    „- rigoroses Einschreiten beim zunehmendem Umbau unserer Gesellschaft in einen Überwachungsstaat. Wir sind bereits zu weit auf diesem Weg gegangen als das wir auch nur noch einen Schritt weiter gehen dürften.

    – Umbau der EU zu einem demokratischen Gebilde und weg von der reinen Verwaltung, die sie jetzt ist. Die EU-Strukturen sind die einer Exekutive, aber ihre Kompetenzen legislativ. Das ist schlimmer, als man derzeit vielleicht glauben mag

    – Re-Demokratisierung der Länder, die derzeit wieder zurück in die Diktatur fallen. Allen voran Ungarn

    – Re-Kapitalisierung der “Krisen”staaten sowie Entmachtung der Rating-Agenturen.“

    Alles gut und richtig – aber wer soll das denn durchsetzen, wenn nicht solche Träumer wie Du und ich?

    Gruss,
    Yoga

    • Alles gut und richtig – aber wer soll das denn durchsetzen, wenn nicht solche Träumer wie Du und ich?

      Da haste nen Punkt 😉

      • Ich habe das in anderem Zusammenhang schonmal gesagt (und nicht nur ich): Ich weiß nicht genau, wie es werden muss, damit es besser wird, aber es muss anders werden, damit es besser werden kann.
        Und dafür braucht es meiner Ansicht in jedem Falle neue Leute, seinen sie Träumer, Phantasten oder Spinner, wer weiß, ob das was da geträumt, phantasiert und gesponnen wird nicht genau das ist, was wir brauchen.

        gez: Der Spinner vor dem Herrn

  4. Duhu, Tante? Ich hab mir den Text vom Brühl jetzt mehrmals durchgelesen und er kommt mir immer mehr wie die Weihnachtsdiskussionsrunde mit meinem Lieblingsonkel vor. 🙂

    Klar, einiges, was er da textet, ist oder scheint nicht umsetzbar. Sagt aber ja auch keiner, dass das jetzthiergleich passieren muss (wäre besser und schöner, aber naja…). Aber die Ideen an sich sind klasse. Und wie er oben im Kommentar schon geschrieben hat: Ein bisschen Futter für Kompromissjäger braucht man ja auch, ohne verbiegen kommt man durch keine Änderung. Ausser mit Gewalt… Und das wäre glaube ich nicht der richtige Weg.

    Wenn man sich denn jetzt nur für jedes Wahlprogramm bei jeder Wahl einen Teil der Ideen vom Herrn Brühl nimmt, noch mal dreht, wendet, betrachtet und dann vielleicht passend ins Wahlprogramm einbettet, wäre aus meiner Sicht schon viel gewonnen, da man so die interessierten Wähler auf jeden Fall mit diesen Konzepten vertraut machen kann.

    Denn auch wenn ich aus Überzeugung weiterhin bei jeder Wahl für die Piraten stimmen werde, würde es mich nicht schmerzen, wenn die Umsetzung dieser Konzepte eventuell auch von anderen erfolgt.

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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