Marcel Reich-Ranicki
/update: Frank Schirrmachers unendlich trauriger Nachruf in der FAZ.
Herr Reich-Ranicki war ein Mann der polarisierte. Der einen sehr eigenen Kopf hatte. Und der ihn wohl zu begründen wusste.
Man konnte sich mit Marchel Reich-Ranicki streiten. Wunderbar geschliffen oder auch mal pöbelhaft – zurückgesteckt hat er nie. Wenn er etwas als richtig empfunden hatte, dann war das so. Man konnte dann seine Argumente anbringen, die er auch hörte (oder auch nicht, je nach Tagesform) aber er war in des Wortes bestem Sinne ein sturer Mensch.
Musste es sein, sonst hätte er das Grauen des Warschauer Ghettos wahrscheinlich nicht überlebt.
Zusammen mit seiner Frau Teofila verband ihn eine tiefe Liebe und allein um diesen Teil seines Lebens habe ich ihn sehr beneidet.
Marcel Reich-Ranicki war ein sehr kluger und intelligenter Mann, aber kein mitfühlender, wenn er kritisierte. Er war auch keiner, der sich dem Mainstream beugte. Er hat Kritik eingesteckt und Lob und beides mit der Haltung eines Mannes angenommen, der in sich ruhte und der um seinen Wert wußte. Ich habe ihn immer als hart empfunden, wenn ich ihn diskutieren hörte, doch wenn ich mir die Zeit nahm und zuhörte wurde ich nur selten enttäuscht. Er war zudem keiner, der nach der Aufmerksamkeit gierte. Er brauchte sie nicht.
Marcel Reich-Ranicki starb heute nach langer Krankheit und ist seiner Teofila gefolgt.
Ich wünsche ihnen viel Glück, sie haben es verdient.
Und uns fehlt wieder ein großer Denker, an dem man sich reiben kann, der einem Reibefläche bietet.
Die Glatten haben wir bereits zur Genüge.
Veröffentlicht am 18. September 2013, in Nachdenkliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.
Mir wird seine Rede vor dem Bundestag immer in Erinnerung bleiben; Januar 2012 hatte er dort zur Erinnerung an die Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums gesprochen. Das war von Anfang bis Ende eine sehr bewegende Rede. Später habe ich mich gefragt, wie er sie wohl gehalten hätte, wären die Details des NSU schon damals bekannt gewesen.
1942 war er Schreiber und Übersetzer im Warschauer Ghetto: Er mußte die Listen der jenigen schreiben, die abtransportiert werden sollten; an die Lüge, man würde »umsiedeln« glaubte schon niemand mehr. Todeslisten, tausende von Namen und Schicksalen. Niemand hätte sich gewundert, wenn Marcel Reich-Ranicki danach nie wieder ein Blatt Papier angefasst hätte; er wurde Literaturkritiker. Eine eigenartike Legende.
Er hat nebenbei eine sehr lesenswerte Autobiographie geschrieben; leider hat er sie nie im »literarischen Quartett« in der Luft zerrissen…
Friede seiner Seele.