Bea – Leben im Limbo


Wenn es eins gibt, was ich gerne mache, dann, verschiedene meiner Themen zusammenzustellen und daraus einen Artikel zu basteln.

Das hat seine Grenze gefunden, als ich Bea kennengelernt habe. Bea ist Transfrau und derzeit in einer Art Sackgasse.

Bea wurde bei der Geburt beschnitten und ihre Geschichte wirft einen exemplarischen Blick darauf, dass man es Leuten durchaus schwerer machen kann als nötig. Und dass eine Beschneidung eben KEINE Elternentscheidung wie Impfen ist.

Ich habe Bea als jemanden kennengelernt, die sich mit ihrem Schicksal durchaus arrangiert hat, aber dennoch unglücklich ist, weil es nicht weitergeht.

Zur Erinnerung:

Es gibt zwei anerkannte Verfahren, die operative Geschlechtsanpassung durchzuführen.

Bei der ersten Variante wird die Schafthaut vom Penis genutzt, um die Neo-Vagina zu formen. Da die Vagina an einer anderen Stelle sitzt als der Penisschaft, werden alleine schon 2 – 3 cm genutzt, um überhaupt an die Stelle zu gelangen, wo später die Vagina sitzen soll.

Die Ärzte kämpfen hier um jeden Zentimenter Vaginaltiefe. Idealerweise beträgt die später 12 cm, abhängig von dem vorhandenen Material. Die Haut des Hodensackes wird für die äußeren Schamlippen verwendet und kann nicht zur künftigen Vaginaltiefe beitragen.

Durch die Östrogentherapie schrumpft das männliche Genital um bis zu 2 cm. Das ist normal und wird auch erwartet.

Doch die Beschneidung nimmt weitere 2 – 3 cm Haut weg, die hinterher bei der Neovagina fehlen. Also statt 12 cm Vaginaltiefe lediglich 6 cm wenns schlecht läuft. Das ist zuwenig um hinterher ein erfülltes Sexleben haben zu können.

Das zweite Verfahren ist eigentlich die Umkehr des obigen. Hier wird die Schafthaut für die Labien genutzt und die Haut des Hodensackes für die künftige Vagina.

Auch hier sind beschnittene Männer klar im Nachteil, weil ihnen hier einfach Haut fehlt. Es gibt Ärzte, die die Geschlechtsanpassung beschnittener Transfrauen ablehnen, weil sie nicht mehr genügend Material haben, um damit arbieten zu können.

Bea muss also jetzt durch den Vorgang der Vorhautwiederherstellung gehen, nur um später genügend Haut zu haben, damit die Geschlechtsanpassung durchgeführt werden kann.

Und hier kommt ein sehr deutsches Problem.

Transgender benötigen zwei Gutachten, die bestätigen, dass sie wirklich nicht dem Geburtsgeschlecht zugehörig sind. Die Gutachter verfügen über keinerlei Vorgaben, wie diese Gutachten aussehen müssen.

Demzufolge gibt es Gutachter, die allein aus der Tatsache der Vorhautwiederherstellung ableiten, dass der junge Mann da vor ihnen auch tatsächlich ein Mann ist – sonst würde er ja die Vorhaut nicht wiederherstellen. Erklärungen wie oben, dass das notwendig ist, damit die Haut ausreicht, werden verworfen.

Auch Bea hat einen solchen Gutachter. Der eine, in München, konnte die Erklärung sofort nachvollziehen, jedoch der andere in Regensburg kann das nicht. Für ihn ist klar: Vorhaut wird wiederhergestellt, also ist das vor ihm ein Mann.

Auf lange Sicht wird das nicht helfen. Denn da auch eine Psychotherapie vorgeschrieben ist, wird der Richter im Zweifel noch auf die Aussage des Therapeuten zurückgreifen und spätestens dann wäre die Genehmigung für die Geschlechtsanpassung durch.

Doch die langfristigen Aussagen helfen kurzfristig nicht weiter.

Bea ist eine Frau, doch sämtliche Ausweispapiere sind noch auf ihren Geburtsnamen ausgestellt. Sie ist in der Alltagstestphase, muss also offen als Frau leben, um zu beweisen, dass sie es auch wirklich ernst meint, aber ihr Vorname ist noch der männliche, mit dem sie geboren ist, ebenso wie alle Ausweispapiere noch männlich sind.

Bea hat 4 Semester Theologie studiert, bevor sie bemerkt hat, dass das Studium alles andere als gut für sie war. Ein Wechsel ins Jurafach, was ihr sehr gelegen kam, ließ sich nicht weiter finanzieren, weil sie durch den Wechsel die BaFöG-Ansprüche verloren hat.

Finanziell nicht abgesichert, die Nebenkosten des Passings vor der Brust, kein Job und dank des nicht durchgeführten Passings auch keinen in Aussicht, lebt Bea derzeit in einer Art Limbo.

Und hier machen wir es den Menschen unnötig schwer und gefährden sie meiner Meinung nach auch.

Professionelle Haarentfernung dauert etwa 200 Stunden. Hierbei werden die Haarwurzeln per Laser verödet. Das macht kein Hautarzt, dafür gibt es Kosmetikläden. Doch die Kosten hierfür übernimmt die Krankenkasse nicht.

Die eigentlich dazu verpflichtet ist, die medizinischen Kosten zu übernehmen – und dazu gehört eigentlich auch die Haarentfernung.

Das geht oft nur über den Klageweg und nicht wenige, die es *endlich* hinter sich haben wollen bezahlen dann die Kosten aus eigener Tasche.

Eine Sitzung von einer Stunde kostet um die 30 Euro. 200 Stunden sind durchschnittlich erforderlich um ein Gesicht vollständig von Barthaaren zu befreien. Rechnets selbst aus.

Das Jobcenter zwingt Bea Bewerbungen zu schreiben, von denen sie selbst wissen, dass sie niemals angenommen wird. Sie selbst hat sich jetzt auf Stellen bei Justiz und Verwaltung beworbem, um dort eine Ausbildung machen zu können, was ihr auch wieder etwas finanzielle Sicherheit geben würde.

Was wäre nötig, um solche Dinge zu vermeiden?

  • verbindliche Regeln für Gutachter, wie Gutachten auszusehen haben. Unter ausdrücklicher Einbeziehung der Vorhautwiederherstellung. Das darf kein Grund mehr sein, dass Passing abzulehnen oder in Frage zu stellen
  • Vereinfachung des Passings selber, durch Kostenübernahme seitens der Krankenkassen ohne viel Kämpfe. Hier sind die Kosten für die Ablehnungen oft genauso hoch wie die Kosten für die Übernahme, vor allem, wenn geklagt wird.

Bea ist kein Einzelfall. Viele Dinge sind sehr spezifisch, aber ihre Situation wirft ein Schlaglicht auf die Situation von Transgendern, die irgendwie immer noch ausgeblendet werden. Transgender finden nicht statt im Diskurs.

Und, um den Kreis zu schließen:

Beas Geschichte wäre um vieles einfacher, wenn sie noch genügend Schafthaut gehabt hätte, um die Operation durchführen zu können. Der Vorgang der Vorhautwiederherstellung dauert mehrere Jahre, Zeit, die sie noch in einem Geschlecht verbringen muss, das nicht ihres ist.

Sie muss die Funktion eines Genitals wiederherstellen, dass sie nicht will um das Genital zu bekommen, dass sie braucht, um sich in ihrem Körper wieder zuhause zu fühlen.

Beas Eltern zeigen, soweit ich das sehe, keinerlei Reue über die Entscheidung, sie bei der Geburt beschneiden zu lassen.

Für sie war es ihr Recht, das zu entscheiden.

Dass nicht sie es sind, die mit dieser Entscheidung leben müssen, hat sie nicht interessiert und interessiert sie bis heute nicht.

Es wird Zeit, dass ein generelles Umdenken stattfindet.

Kindergenitalien sind nicht für die Eltern da, um deren wie auch immer gearteten Bedürfnisse zu befriedigen. Sie gehören dem Kind, dass auch die Entscheidungsbefugnis darüber haben sollte. Eingriffe dürfen hier nur erfolgen, wenn sie medizinisch notwendig sind und dann mit der geringstmöglichen Eingriffstiefe.

Im Laufe der Diskussion mit beschneidenden Eltern bin ich auf die unterschiedlichsten Argumente gestoßen:

  • er soll aussehen wie Daddy
  • es ist sauberer, hygienischer
  • er ist mein Sohn und es ist meine Entscheidung

    und natürlich auch:

  • es wird von Gott vorgeschrieben und ist bei uns Tradition

Die Kinder?

Die werden nicht gefragt. Und nicht wenige haben später massive Probleme mit dem, was ihnen noch gelassen wurde.

In Beas Fall wurde z.b. noch das Frenulum extra mittels Kauterisation verödet. Es ist lediglich noch ein Streifen von etwa 2 mm innerem Vorhautblatt da, mit dem sie arbeiten kann – gründlicher kann man kaum beschneiden um sicherzustellen, dass auch ganz sicher kein Gefühl mehr da ist wenn das Kind einmal erwachsen ist.

Es ist eine sadistische Form der Beschneidung.

Und das muss einfach aufhören. So schnell wie möglich.

 

Veröffentlicht am 20. April 2015, in Nachdenkliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 4 Kommentare.

  1. Nicht das erste mal das ich diese Sorte Story höre, Krankenkasse stellen sich gerne stur was Transgender angeht und ich kenne mittlerweile ein Paar.

    Das es da Überschneidungen mit Beschneidung gibt wusste ich aber noch nicht daher find ich die Story doch sehr erhellend.

  2. Owen Burnett

    Kann Bea ihre Eltern nicht auf Schadensersatz + Schmerzensgeld verklagen ?
    Spätestens wen es ans Bankkonto geht stellt sich die Reue schnell ein 😉

  3. Owen Burnett

    Was für eine stupide rechts Auffassung, die Verjährungsfrist sollte erst anfangen wen das opfer volljährig wird und überhaupt klagen kann
    und nicht als die tat begangen wurde.

    Zudem seit wann gibt es eine Verjährungsfrist für zivile klagen?

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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