Das olympische Franchise
Olympia ist schizophren.
Auf der einen Seite ist es ein knallhart verfolgtes milliardenschweres Franchise-Unternehmen. Olympische Sommerspiele, Olympische Winterspiele, Deaf Games, Special Olympics, Paralympics, World Games, Olympische Jugendspiele: Jede Bevölkerungsgruppe hat „ihre“ olympischen Spiele.
Doch Olympia ist für viele Menschen mehr – nämlich das, wovon das Unternehmen eigentlich lebt. Der Mythos.
Für die Menschen sind die olympischen Spiele der Ort, an dem Menschen unabhängig von politischen Rivalitäten im sportlichen Wettkampf aufeinandertreffen können. Der Austausch, die Völkerverständigung. Unpolitisch und frei von Vorurteilen. Eine Art Elysium der Menschheit, wo sich die Besten treffen um festzustellen, wer der Beste der Besten der Besten ist.
Sir.
Viele Menschen verbinden mit den olympischen Spielen die Hoffnung, dass vielleicht doch nicht alles so schlimm ist, wie man immer liest.
Die olympischen Spiele werden, und das ist vom IOC meines Erachtens auch bewußt so gewollt, mit höheren Werten verbunden. Doch unterhalb dieser hehren Sphären liegt das hässliche Gesicht einer gnadenlosen Gelddruckmaschine.
Die olympischen Spiele können schon seit vielen Jahren diesem Mythos nicht mehr gerecht werden – wenn sie es je konnten. Doch spätestens mit der Austragung in China haben sie ihre Unschuld verloren und prostituieren sich jetzt in Russland.
Viele der Athleten sind homo- oder bisexuell. Das dürfen sie jedoch in Russland nicht ausleben, die derzeitig dort herrschende Stimmung, vorangetrieben und eine unheilige Allianz des christlich-orthodoxen Popen und der sehr starken rechtsradikalen Gruppierungen, hat zu Gesetzen geführt, die die Sexualität von Menschen verdammt.
Schwule und Lesben sind in Russland inzwischen Freiwild geworden. Wer sich offen zu seiner Sexualität bekennt, dem drohen Folter und Tod. Ermittlungen gegen die Täter? Werden nur in Ausnahmefällen auch nur geführt.
Die Rechten dort, die so verdreht sind, dass es wehtut, auch nur ihre Äußerungen zu hören. Die bezeichnen sich ja tatsächlich teilweise als Nazis, diese dummen Menschen. Im Geschichtsunterricht haben DIE nicht aufgepasst. Unter den Nazis wären die allenfalls als Untermenschen klassifiziert worden, gerade mal tauglich fürs Arbeitslager. Weil sie Russen sind, Slawen – aus keinem anderen Grund. Nur um nochmal deutlich zu machen, wie abgrundtief dumm und verbohrt die dort gerade sind. Millionen Tote, jeder dieser Idioten muss doch ein Familienmitglied haben, dass im Krieg gestorben ist oder zumindest schwer gelitten hat. Und dann identifizieren sich diese Vollidioten mit den Tätern? Unfassbar.
Russland ist, genauso wie China, eine Diktatur. Die olympischen Spiele hingegen waren in ihrer Blütezeig religiöse Spiele im Mutterland der Demokratie. Menschenrechte werden in beiden Ländern nicht geachtet, von Bürgerrechten sprechen wir an dieser Stelle bitte nicht.
Man muss mit Putin und mit dem ZK in Peking leben – gutheißen, was sie tun, ist jedoch eine völlig andere Hausnummer.
Die olympischen Spiele in China haben die bestehende Regierung bestätigt. Sie hat geadelt, was strafwürdig ist und die Ermahnungen an die chinesische Regierung war so dermaßen wachsweich, dass wahrscheinlich ein Wurf mit Wattebällchen mehr geschmerzt hätte.
Dasselbe bahnt sich nun in Russland an. Einem Russland, in dem Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung frei gejagt werden können. Wo Homosexualität als ansteckende Krankheit gilt. Wo Homosexuelle in Anstalten gesperrt werden, um sie entsprechend behandeln zu können. Vom Umgang mit Regimekritiker wollen wir an der Stelle mal nicht reden, ja?
Denn Russland ist auch: Großmacht, nach wie vor. Wiedererstarkt unter Putin. Russland verfügt in seinem immer noch großen Reich über immense Rohstoffe, nach denen der Westen giert. Korruption blüht und gedeiht allerorten. Durch die olympischen Spiele wird die Regierung geadelt, aus dem Schmutz herausgezogen. Wenn die Spiele gut laufen, bedeutet das auch einen gewaltigen Imagegewinn für Russland.
Und das ist dann die buchstäbliche Kehrseite der olympischen Medaille.
Denn natürlich ist dieses milliardenschwere Unternehmen keins, dass irgendwelche Rücksichten auf „hehre Ziele“ nimmt. Die Sportler haben nur 2, vielleicht 3 olympische Spiele, um genug Geld und PR zu machen damit sie den Rest ihres Lebens davon Leben können. Der Bekanntheitsgrad eines Olympiagewinners schlägt sich in Bargeld nieder.
Die ausrichtenden Städte profitieren ebenfalls erheblich: Die Investitionen zum Aufhübschen und Neubau der Sportstätten sowie der angeschlossenen „Nebengebäude“ wie dem olympischen Dorf und dem Medienzentrum sorgen für Arbeitsplätze und allseits gute Laune.
Die olympischen Spiele sind eine gigantische Gelddruckmaschine und eine Art moderner Gladiatorenkampf.
Mehr nicht.
Mehr waren sie nicht.
Und mehr werden sie nie wieder sein.
Veröffentlicht am 12. November 2013, in Nachdenkliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 12 Kommentare.
„..um festzustellen, wer der Beste der Besten der Besten ist. Sir.“ 😀 Der war gut.
Panem et circenses. War nie anders.
Putin? Das ist doch der, der mit nacktem Oberkörper Haie, oder waren es Hechte? fängt, Bären erlegt, in wilde Wasser springt und wo die ganze Welt wild auf seine schwulen Photos ist. Ich meine, ich habe wirklich nix gegen schwule Photos, werden die doch so manchem ein Lächeln entlocken.
Also, getreu der Regel, dass jeder, der polemisiert und Andere Verurteilt im Grunde das Problem in sich verurteilt, wäre es nicht ganz unwahrscheinlich, das Putin Homosexualität diskriminiert, weil er sich heimlich oder offen über die Wirkung seiner Photos freut – um es ganz vorsichtig auszudrücken. Na ja, warum sollte er sie sonst machen lassen?
Ist ja voll ok, ist seine Sache. Aber da ist eine Schere im Kopf, wenn jemand pressewirksam posiert, öffentlich mit Sexualität spielt und dann den Hardliner raus kehrt, was soll man da denken? Ein Macho? Nee, wirklich nicht Kleiner, ich finde das unglaubwürdig. Das ist vielmehr peinlich für den, der diese inszenierte Selbstdarstellung nötig hat.
Übrigens sehen russische Homosexuelle das sehr trocken und cool. Sie sind für Olympia – soweit ich hörte und haben sich so einigermaßen eingerichtet. Mit scheint die Gesetzgebung dort vielmehr ein Versuch jeden nach Bedarf mit Scheingründen zu kriminalisieren. Je mehr Gesetze, um so mehr Macht. Mit vermeintlichen Randgruppen hat man da leichtes Spiel.
Zum Boykott würde ich also nicht aufrufen. Ihnen auch noch Olympia zu politischen Zwecken zu überlassen ist falsch. Das würde Sportlern wie Fans nicht gerecht.
Eher würde ich überall Regenbogen zu malen. Denn die Welt ist bunt, wir sind Menschen und Sexualität ist in jeder nicht verletzenden, einvernehmlichen Form ein Ausdruck davon.
Also eigentlich ziehe ich Amateurfußball dem Olympiaspektakel deutlich vor. Obwohl, um Regenbogen der Solidarität zu sehen könnte ich mir das noch einmal überlegen.
Ups, nun hab mich aber mächtig verquatscht…
Du liegst, was Putin angeht, ziemlich falsch. Dessen Sexualität steht nicht zur Debatte, nicht annähernd. Davon würde der sich auch keine Sekunde leiten lassen. Weder im positiven noch im negativen Sinne.
Putin ist ein Machtmensch. Sein erstes Ziel ist der Machterhalt – und nebenbei den Zusammenhalt dessen, was noch von der ehemaligen Sowjetunion übriggeblieben ist.
Und dazu braucht er die russisch-orthodoxe Kirche. Die Russen sind traditionell äußerst gläubig. Und was der Moskauer Patriarch vorgibt, das wird gelebt. DER wiederum ist eine völlig andere Hausnummer – bei dem würde ich nämlich sehr viel eher vermuten, dass der ein Homosexueller in der Verleugnung ist. Das würde auch erklären, warum er Homosexualität für eine Lebensgestaltung hält und nicht für etwas, das angeboren ist.
Denn wenn ER abstinent leben kann (Männer will er nicht und Frauen machen den wirklich nicht an), dann können auch alle anderen, die behaupten, dass sie homosexuell sind, doch an dieser Lebensweise arbeiten.
Demzufolge *wollen* diese Menschen in Sünde verharren. Und sie nehmen sich heraus, was ihm verwehrt bleibt. => Hassprediger
Wie gesagt, die Russen sind traditionell sehr gläubig. Und sie sind auch traditionell sehr obrigkeitshörig – noch schlimmer als wir Deutschen. Vom Zarenreich über den Stalinismus hin zu Putins Möchtegerndemokratie, wo soll denn auch das Demokratieverständnis herkommen?
Das gibt dem russisch-orthodoxen Klerus, der sowieso einer der restriktivsten der christlichen Gemeinschaft ist (Benedikt hat nicht umsonst Annäherungsversuche gestartet), sehr viel Macht, auch über den Kreml. Die Zeiten, wo ein ZK ohne Klerus regieren konnte, sind vorbei.
Und diese Macht nutzt der Patriarch rigoros aus, um seine Wertvorstellungen, die absolut nicht in die heutige Zeit passen, durchzusetzen. Er betreibt da durchaus aktive Realpolitik. Und Putin – in Teilen auf ihn angewiesen, gibt in Dingen, die ihm am Arsch vorbeigehen, nach (Homosexualität) um dann wiederum andere Dinge durchsetzen zu können.
Quid pro Quo auf dem Rücken von Schwulen und Lesben. Und deren Leben wird immer mehr zu einer Tragödie.
Mein Post war (unvorsichtigerweise?) a) ein einfacher Gedankenstrom und b) von einer Art Ironie durchsetzt. Es war richtig von Dir da mehr in die Tiefe zu gehen. Es ist stimmig. Kein Kommentar von mir mehr notwendig (und das ist das Gegenteil von Ignoranz).
Zu Dave B: Du bringst mich da auf eine (irre?) Idee.
Olympische Maskottchen haben lange und auch eine inoffizielle Tradition. Als Vater von Mädchen schwebt mir jetzt – gegen all meinen „Geschmack“ – sowas wie ein Rosa Pony oder Knuddelbärchen unter einem Regenbogen vor. Vielleicht auch mit Anleihen an Pussy Riot?
Kann jemand so was ohne Markenrechtsverletzungen entwerfen? Und kann dann jemand das verbessern? Können wir das als Zeichen der Solidarität in jeden Blogs schieben, der sich irgendwie mit Olympia beschäftigt? Das wäre doch echt geil, wenn das gelänge.
Sagen wir:
Hier ist Internet, die Kreativmaschine, die Community, das „Ding“ wo alle Politik Angst vor hat und die Industrie jeden Verstand verliert.
Machen wir etwas daraus. Zu verlieren haben wir nichts. Zeigen wir, dass dieses Netz unser ist. Zeigen wir, dass Olympia nichts mit Vereinnahmung durch Politik und nichts mit Geld zu tun hat. Setzen wir ein klares kreatives Zeichen gegen Ausgrenzung und Unterdrückung. Zeigen wir unseren Entwurf der Welt. Zeichnen wir sie in bunt.
Dass die olympischen Spiele eine rein kommerzielle Angelegenheit sind, sollte spätestens seit 1972 eigentlich jedem klar geworden sein.
Selbst wenn das olympische Kommitee jetzt anfängt überall Regenbögen und Einhörner anzupinseln, wird doch keiner glauben, das das Bestand haben wird.
Wenn der Druck da ist, werden die ein bisschen whitewashing betreiben und halt mal die 4 Wochen sich zurückhalten.
Ganz direkt kann man das mit ’36 ja auch nicht vergleichen, da wurde sich ja auch etwas zurück gehalten aber das Bewusstsein existierte ja damals nicht so das da was unrechtes geschah.
Ein Weg diesen Eklat ins Bewusstsein zu rufen, wäre ja traurigerweise wenn ein Goldmedallien-Gewinner(in) bei einer Verleihung im Auge der Weltöffentlichkeit das ins Rampenlicht zerrt, wie damals ’68 mit dem Menschenrechts-/“Black Power“-Salut. Ob nun ein „Coming-Out“ oder Küsschen für den Partner.
Da wäre dann Russland doch ein bisschen in Bedrängnis.
Alles runterspielen, technische Störung oder gleich an Ort-und-Stelle verhaften.
Das es dann soweit kommen muss, ist ja das traurige.
Wenn nun einige Länder deswegen die Spiele boykottieren wird das vermutlich kein Zeichen für irgendwas setzen, solange das nicht gleich mehrere „wichtige“ sind. Ansonsten bleibt das eine Randnotiz und der Rest der Welt freut sich über weniger Konkurrenten.
Zum finanziellen Aspekt:
Für den Austragungsort, zumindest der Winterspiele, ist das ja meist ein Sturz in den finanziellen Abgrund:
– Unbrauchbare Sportstätten für Unmengen von Veranstaltungen
– Unmengen an Hotels und EInrichtungen ohne nachhaltigen Bedarf
– Investitionsruinen
– steigende Immobilien- und Mietpreise
– lokale Unternehmen haben meist auch nicht wirklich was davon, da die großen Sponsoren und Lizenznehmer mit dem IOC Hand-in-Hand gehen
So, reicht erstmal
Sommerspiele sind doch genauso. Nimm London wo ärmere Viertel platt Gemacht wurden für Riesenstadien und Olympische Dörfer die man nicht voll bekommt.
Die sanierungen sind auch vielfach potemkimsche Dörfer im Sinne der Phrase – Aussen hui, Innen pfui.
Was toll wäre wäre wie im Alten Griechenland eine Neutrale Sportstätte zu errichten. Warum nicht Winterspiel in Grönland oder der Antarktis? Sommerspiele auf einer (künstlichen) Insel 😉
Einmal hingebaut und vom IOC sowie den teilnehmern bezahlt.
Neutraler Austragungsort wird ja auch schwierig:
– Das Olympia-Prestige will sich keiner nehmen lassen
– Die finanziellen Interessen das alles immer neu zu bauen, und immer pompöser, wird sich von den Beteiligten auch keiner nehmen lassen wollen.
– So ein Ort sollte dann ja auch nicht 4 Jahre leer rumstehen.
Man kann das ja alles original getreu in Olympia aufbauen lassen, da würde sich Griechenland auch drüber freuen und erstmal die ganzen Bestechungsgelder.
Aber wie nun in Griechenland die Menschenrechte behandelt werden, darüber weiß ich nicht genug.
Für Griechenland wärs ne dringend notwendige Investitionsspritze. Die sind voll im Würgegriff der EU.
Wenn einer der Athleten das in die Öffentlichkeit zerrt, dann ist das für das Kommittee eine „politische Aussage“, die die Athleten nicht tätigen dürfen. Denn die Spiele sind an der Oberfläche ja „unpolitisch“ – das ist ein bequemer Schachzug, damit man die da austragen kann, wo man das größte Entgegenkommen hat.
Das heißt für den Athleten: Er hat gewonnen. Aber der Sieg wird ihm dann aufgrund seiner „politischen Aussage“ aberkannt werden.
Nicht so gut.
Übrigens halte ich in genau diesem Zusammenhang die Weigerung der Menschen in Garmisch-Partenkirchen, die Spiele in Deutschland austragen zu lassen, für großartig.
Das das für den Athleten der den Elefanten im Raum anspricht vermutlich nicht folgenlos wäre, ist ja sehr wahrscheinlich.
Siehe ja eben auch:
http://en.wikipedia.org/wiki/1968_Olympics_Black_Power_salute
Aber das spielt ja der Thematik einer „silent majority“ wieder zu. Alle finden das was Russland macht doof, aber keiner traut sich das anzusprechen und durchzuziehen und die Folgen zu riskieren