Asylgründe
Das politische Asyl in Deutschland ist meines Erachtens eines der wichtigsten Errungenschaften der Nachkriegszeit. Man erkennt an, dass es Menschen gibt, die in ihren eigenen Ländern aufgrund ihrer politischen Ansichten verfolgt werden – und gibt ihnen hier einen Schutzraum.
Der Artikel 16 Grundgesetz wurde 1949 eingefügt, um sicherzustellen, dass genau das auch bestehen bleibt.
Vor diesem Hintergrund muss man die aktuelle Debatte um die Frage, ob man Edward Snowden in Deutschland politisches Asyl gewährt, sehen.
Die Pro-Fraktion ist recht geschlossen und beruft sich auf das, was vom ursprünglichen Artikel 16 GG noch übriggeblieben ist, nachdem die Regierung Kohl ihn so runtergedampft hatte – weil das „Boot voll“ sei.
Und es ist ja auch recht eindeutig. Von einem neutralen Standpunkt betrachtet, erfüllt Snowden alle Voraussetzungen für den Asylbezug hier.
Es geht dabei nicht um die Tatsache, ob der Asylsuchende gut aussieht, ob er reich oder arm ist – und vor allem geht es nicht darum, ob das Land, aus dem er geflüchtet ist, weil ihm aus politischen Gründen eine Strafverfolgung droht, mit unserer Regierung „befreundet“ ist. Oder darum, ob er ein Held oder ein Schurke ist (die Schurken-Kommentare sind im allgemein übrigens die dümmeren).
Und es geht bei dieser Frage nicht darum, wie die Konsequenzen aussehen, wenn wir einem Flüchtling Asyl gewähren. Die Asylgewährung war auch immer ein Zeichen von Rückgrat. Ein Zeichen, jemandem, der gegen eine nahezu übermächtige Macht kämpft, vor dieser Macht zu beschützen, weil man erkennt, dass derjenige zu Unrecht verfolgt wird.
Und wenn man sieht, wie die US-Regierung die eigenen Gesetze biegt und bricht, um eine Strafverfolgung von Snowden zu ermöglichen, dann stellt sich die Frage nach Recht und Unrecht nicht mehr. Denn eigentlich würde er unter den Whistleblower Protection Act von 1989 fallen, verfolgt wird er aber nach einem Gesetz aus dem Jahr 1917, ein juristischer Kniff um das jüngere Gesetz auszuhebeln. Chelsea Mannings Verteidiger wurde in ihrem Prozess ausdrücklich verboten, sich auf das Gesetz von 1989 zu stützen, da dieses die Anklage sofort in sich hätte zusammenfallen lassen.
Alleine, dass der Richter ihm nicht genehme Verteidigungslinien, die eine gewünschte Verurteilung verhindern, per Dekret verbieten kann, zeigt schon: Das ist kein Rechtsstaat mehr. Damit ist der Asylgrund da. Und eigentlich müsste Edward Snowden Asyl gewährt werden.
Nicht, dass ich ihm das wünschen würde. Die CIA hat mehrfach bewiesen, dass sie hier frei Menschen auf offener Straße wegfangen und in ihre Foltergefängnisse verbringen kann, ohne durch Dinge wie „Behörden“ daran gehindert zu werden. Es wäre für die USA meiner Meinung nach sogar erheblich *leichter* an Edward Snowden heranzukommen, als jetzt in Russland.
Aber die Gegenfraktion hat eine Argumentationslinie, da wirds einem eiskalt. Das ist nicht das Deutschland, dass ich mir gewünscht hätte. Da wird argumentiert, dass ein Asyl für Edward Snowden lediglich ein „den Amis ans Schienbein“ treten ist und nichts weiter. Und das im Deutschlandfunk. Bitte was? Für die Journalistin Sylke Tempel reicht ein „unbequemes Fragen stellen“ offenbar aus. Ähm, wer soll DIE denn stellen? Noch ne Delegation mit dem Hut in der Hand in Washington? Angeführt von Pofalla und Friedrich? Sorry, aber dann wirds doch für James Clapper und Keith Alexander wirklich langsam lebensgefährlich: Die lachen sich doch irgendwann tot.
Asyl ist auch keine „zweifelhafte Symbolhandlung“. Asyl ist ein Menschenrecht. Und das steht auch und gerade einem Edward Snowden zu, Frau Tempel.
Was mich wirklich erschüttert, ist der Versuch einer Journalistin, diesen Abhörskandal zu marginalisieren. Frau Tempel: Man kann das gar nicht hoch genug hängen. Haben Sie sich wirklich so wenig mit dem Thema beschäftigt? Ihre Zunft ist es doch, die als allererstes dran glauben muss. Journalisten und ihre Zuträger und Informanten, die Sie eigentlich schützen müssten, sind neben Politikern auf der Liste der NSA-Spione doch ganz oben.
Zumal man nach Edward Snowden und dem Guardian doch eine Wiederholung dieses Falles unbedingt verhindern möchte.
Was Sie im übrigen völlig verkennen, ist der Grund, warum man sich nur mit der Person Edward Snowdens beschäftigt und nicht eine Diskussion anstößt, wie man Geheimdienste kontrollieren kann (kann man übrigens nicht mehr. Die kann man nur noch auflösen):
1. Die Bundesregierung wünscht keine Diskussion über unsere 16+x deutschen Geheimdienste. Vor allem wünscht sie keine Diskussion darüber, ob wirklich fast 20 verschiedene Behörden für die Aufklärung notwendig sind. Diskussionen darüber werden von Herrn Pofalla gerne beendet und von Herr Friedrich als Anti-Amerikanismus bezeichnet, der ihn ankotzt.
2. Edward Snowden ist ein Mensch in Bedrängnis. Er ist kein Verräter, er hat notwendige Informationen freigesetzt, die die breite Öffentlichkeit wissen MUSS. Dass die Geheimdienste völlig unkontrolliert agieren und Keith Alexander und James Clapper inzwischen mächtiger sind als alle gewählten Organe in jedem Land, dass MUSS thematisiert werden. Dafür sind Menschen wie Sie da. Journalisten. Die die Bedrohungslage für die Demokratien erkennen und entsprechend formulieren können.
Was sie hingegen gemacht haben, Frau Tempel, ist das Beklagen, dass „die Diskussion“ nicht in Gang kommt bzw. in die für sie falsche Richtung geht.
Frau Tempel, wer, wenn nicht Sie und ihre Kollegen, kann diese Diskussion denn steuern und die richtigen Fragen mit dem richtigen Nachdruck stellen?
Wer, wenn nicht Sie und ihre Kollegen, hat denn in dieser Sache mit am meisten zu verlieren?
Auf wen können wir uns noch verlassen, wenn selbst die Menschen, die ausgebildet werden um genau diese Bedrohungen frühzeitig wahrzunehmen, so krass versagen?
Das sind die Fragen, die sich der Journalismus derzeit stellen muss. Vor allem die Vertreter der Apologeten.
Veröffentlicht am 14. November 2013, in Mediales. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 7 Kommentare.
Die heutigen Journalisten schreiben noch nur das, was der Redakteur lesen will und brauchen keine Zuträger oder Informanten mehr.
P.S. Ausnahmen – wie in jedem Beruf – bestätigen die Regel.
Rein aus dem Bauch heraus betrachte ich Edward Snowden als Held und die Bundesregierung als eine Vereinigung amerikanischer Arschkriecher, weil sie Snowden nicht längst Asyl bewilligt haben.
Wenn wir uns aber bei der Frage, ob Snowden politisch verfolgt wird, darauf berufen, dass die USA kein Rechtsstaat sind, dann sollten wir uns umso mehr wie einer verhalten und uns einmal die Definition des politisch Verfolgten anschauen:
„wenn dem Einzelnen durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine Religion, politische Überzeugung oder an andere, für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen, ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und in eine ausweglose Lage bringen.“ (BVerfG, entnommen aus Wikipedia).
Es ist nicht so einfach, persönliche Asylgründe zu finden. Religion passt nicht, politische Überzeugung passt auch nicht so wirklich, und „Anderssein“ auf „ich finde die NSA-Geheimnisse doof“ zu erstrecken, ist auch eher fernliegend.
Auch die objektiven Asylgründe liegen nicht auf der Hand. Wir können den USA kaum unterstellen, dass sie Snowden haben wollen, um ihn einfach mal aus Jux und Dollerei zu foltern (Verletzung der Menschenwürde), sondern sie wollen ihn schlicht und einfach mal wegen Geheimnis-/Landesverrat oder so ähnlich bestrafen, im Rahmen ihres Rechtssystems.
Wie geht es weiter? Man kann natürlich den Asylgrund anhand dessen definieren, was nach unserem Rechtsempfinden und unserer Rechtsordnung als untragbar verstanden wird. „Prominentes“ Beispiel wäre die Steinigung einer Frau für „Ehebruch“ durch Vergewaltigung etc. Da kann man sagen, dass wir a) die Todesstrafe ablehnen, b) Steinigung die Menschenwürde sowieso verletzt und c) ein erzwungener GV nie als Ehebruch angesehen werden kann.
Aber Snowden? Wäre er deutscher Staatsbürger und hätte mal eben den Inhalt der BND-Computer in die Welt posaunt, hätte er sich dann nicht strafbar gemacht? Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, denn es würde hier wohl auf die Frage des „Notstandes“ hinauslaufen, wenn es darum geht, die rechtswidrige Praxis der Geheimdienste aufzudecken. Ob dieses Anliegen aber durch Notstand gerechtfertigt werden kann, sollte wohl eher ein BGH-Richter beantworten als ich!
Langer Rede kurzer Sinn: So ganz eindeutig ist diese Asylgeschichte bei weitem nicht.
Woraus ich jedoch den Schluss ziehe, dass die Asylgründe nicht weit genug gehen; Asyl für Edward Snowden ist nämlich „alternativlos“!
Du diskutierst den aktuellen Asylbegriff. Guck dir mal den ursprünglichen Asylartikel an, bevor er soweit ausgehöhlt wurde, dass er eigentlich, wie du ganz richtig bemerkt hast, nicht mehr anwendbar ist.
/update
Ich und Staatsrecht -.-
Asylartikel ist Art. 16a 😦
http://lexetius.com/GG/16#2
http://dejure.org/gesetze/GG/16a.html
Schade, schade, schade…
Da wollte ich dich doch mal wieder verbessern, aber nö, du machst das selbst – pfui 😛
BTT:
Derzeit ist es nach diesem Artikel tatsächlich nicht ohne Weiteres möglich, Herrn Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren, denn ich fürchte, dass die USA unter Ziffer (2) oder (3) fallen – oder darunter fallend gemacht werden 😉
Aber selbst wenn es dann doch so sein sollte, dass Herr Snowden hier Asyl angeboten werden könnte, rechtlich gesehen, setzte unsere derzeitige Bundesregierung sicherlich, ganz bestimmt aber auch die nächste, alles daran, dass er nicht hierherkommt und Asyl beantragt; ich würde ihm davon aber sowieso aus Gründen, die TJ schon erwähnte, abraten.
Dass in den USA die Rechte von, ich nenne sie mal so, Regierungskritikern gerne mal „entzogen“ werden, haben wir ja auch schon mehrfach erlebt; Guantanamo oder Frau Manning sind da nur zwei Beispiele.
Ich rechne damit, dass in nicht allzuferner Zukunft entweder Herr Snowden kaltgemacht („Ich lasse es wie einen Selbstmord aussehen.“) oder in die USA verbracht wird („Und gehen sie nicht zu sanft mit ihm um.“).
Moment. Ich habe erstmal nur über die BVerfG-Definition des politisch Verfolgten geredet. Die ganze Sache mit sicheren Drittstaaten und Tralala käme noch dazu.
Ich erkenne aber auch nicht, wo das Asylrecht ausgehöhlt wurde. Ursprünglich war das Asylrecht ein lapidarer Satz in Art. 16 II GG: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“.
Diesen Satz gibt es immer noch, und zwar in Art. 16a GG. Die weiteren Absätze mit dem sicheren Drittstaat sind keine Einschränkung des Asylrechtes, sondern eine Verbesserung der Handhabbarkeit von Tausenden Asylverfahren. Anno 1949 hätte auch kein – Beispiel – Schweizer Asyl in Deutschland bekommen, auch wenn die Schweiz da noch kein „sicherer Drittstaat“ war. Nur hätte man dort in jedem Einzelfall prüfen (und begründen) müssen, dass die Schweiz sicher ist. Heute schreibt man „die Schweiz steht auf der Liste der sicheren Drittstaaten“ und fertig. Das Asylrecht ist dadurch nicht weniger geworden.
Man kann natürlich darüber nachdenken, ob die USA noch ein sicherer Drittstaat ist. Momentan wäre allerdings die Frage, ob Russland ein sicherer Drittstaat ist, denn dort sitzt Snowden nunmal.
Aber nochmal: Meine Gedanken beschränkten sich auf die Frage, ob Snowden überhaupt „politisch Verfolgter“ ist. Wenn man das nämlich verneinen sollte, können wir uns die restlichen Argumente sparen.
Und nochmal: So, wie die EU in den letzten Jahren mit ihren Verträgen (Maastricht etc.) umgegangen ist, sehe ich keinerlei Bindung an Recht und Gesetz mehr. Deshalb sollte Snowden schlicht per Dekret Asyl erhalten; legal, illegal, scheißegal!
Das Grundgesetz wurde damals nach dem Prinzip: Einfache Formulierungen = einfache Regeln. Das Asylrecht nach Art. 16 „Politisch Verfolgte genießen politisches Asyl“ war eigentlich selbsterklärend.
„Tausende von Asylverfahren“ gab es nur deshalb, weil verabsäumt wurde, eine menschenrechtswürdige Flüchtlingspolitik zu gestalten – und darum wurden alle Flüchtlinge per toto erstmal in die Asylecke gestellt. Aber wer aus Kriegsgebieten flüchtet ist nicht politisch verfolgt. Hier hätten andere Lösungen gefunden werden müssen, doch die Politik versagt hier seit gut 30 Jahren eklatant.
Den Asylrechtsparagrafen dazu dann in 16a zu verschieben und mit einer Reihe von Ausnahmetatbeständen zu versehen, das war von Anfang an nicht gewollt und ist eigentlich nur ein: „Wir wollen keine Leute aufnehmen. Und hier sind die Gründe dazu.“
Allein die „Sichere Drittstaaten-Regelung“ ist ein mehr als beschämender Treppenwitz. Wenn du dich so umguckst: Wo soll ein (berechtigter) Asylantrag heutzutage eigentlich noch gestellt werden? Wo soll denn ein Asylsuchender bitte herkommen, wenn er Asyl benötigt? Schwimmend durch die Ostsee?
Es *gibt* keinen Eintrittspunkt nach Deutschland, der *nicht* aus sicheren Drittstaaten erfolgt. Also gibt es eigentlich auch keinen Asylgrund mehr in Deutschland. Diese Regelung ist die Abschaffung des Asylrechts. Und die Stammtische jubeln.
Eine weitere Regelung ist die der „sicheren Rückzugsgebiete“. Damit wird postuliert, dass eine Regierung, die dich in Stadt X verfolgt, in Stadt Y weniger Macht hat und du daher dort unangefochten leben kannst.
Diese Konstellation ist an Dreistigkeit und Unverschämtheit nicht mehr zu überbieten.
Das Asylrecht ist in D de facto nicht mehr existent. Eine adäquate Flüchtlingspolitik existiert nicht einmal als Konzept.
DAS ist das Deutschland des Jahres 2013. Menschenfreundlich, was?
Die USA sind spätestens seit Guantanamo kein Rechtsstaat mehr – Menschen einfach so gefangen zu nehmen, einzusperren, zu foltern und keinerlei Anklage zu erheben reicht wohl für diese Feststellung. Der Prozeß gegen Manning bestätigt das nur. Deutschland sollte Snowden kein Asyl anbieten – weil sie seine Sicherheit nicht nur nicht garantieren können, sondern es nicht mal ernsthaft versuchen würden. Der wäre so schnell weggefangen, dass wir es gar nicht mitkriegen. Warum? Weil die USA die Macht dazu haben, ganz einfach. Die scheißen drauf, was andere dazu sagen. Wenn denen was nicht passt, tun sie, was immer nötig erscheint.
Die jetzige Politik (weltweit) geht mehr als fahrlässig mit den Errungenschaften der Demokratie um, wahre Demokratien sind das größtenteils nicht mehr. Das sind Bürokratien, legalistische Staatsmonster, die zudem von der Großindustrie erheblich beeinflußt werden. „Schaden vom deutschen Volk abwenden“ – hah! Dann müsste sich Frau Merkel mal gegen die Geheimdienste stellen. Der Verlust jeglichen Vertrauens in staatliche Strukturen wirkt viel zerstörerischer als jeder noch grausame Anschlag – wenn man dem eigenen Staat nicht mehr vertrauen kann, wem dann? Vertrauen ist eine hart verdiente Münze und schnell verspielt – Merkel und Co (egal, welche Partei) werfen dieses Geld gerade mit vollen Händen in den Brennofen.