Weil es Wurst ist.
Gestern gewann also Conchita Wurst den ESC 2014. Die Veranstaltung war wie immer so seicht, dass man, wäre sie ein See gewesen, locker hätte drauf laufen können. Und er hatte eine polnische Band, die diesmal nur sehr dezent auf Sex gesetzt hat. Immerhin wissen wir jetzt, dass es in Polen lust(ige) Bäuerinnen gibt.
Aber der Sieg von Conchita, die Art, wie er erfolgte – all das gibt Hoffnung, dass sich wirklich etwas ändert in den Köpfen. Dass endlich bei den Leuten ankommt: Homosexualität ist eben KEINE Krankheit. Sondern eine andere Sexualität. Etwas, womit man geboren wird.
Wie man eben auch transgender geboren wird. Oder Intersexuell. Und dass man es doch bitte den Betroffenen überlassen soll, wie man das Leben gestaltet. Ohne chirurgische oder psychotherapeutische oder „spirituelle“ Interventionen.
Dieser Sieg macht Hoffnung, dass die Zeiten, wo sich eine Kanzlerin ungestraft dergestalt äußern kann, dass sie die „Homo-Ehe“ oder das Adoptionsrecht nicht entsprechend freigeben wird, weil sie sich „unwohl“ damit fühlt, wenn zwei Schwule oder Lesben heiraten oder Kinder adoptieren, bald vorbei sind.
Denn LGBT ist zumindest bei uns doch so weit in der Gesellschaft angekommen, dass es kaum noch auffällt. Die Ehe ist ein sehr konservatives Lebensmodell (und ein Lebensstil für den man sich entscheidet, Homosexualität ist dies nicht) und dass die LGBT-„Community“ dies für sich einfordert, heißt doch, dass es natürlich auch Konservative unter ihnen gibt. Guckt euch doch Volker Beck an – der ist so stockkonservativ, das ich mich frage, was DER bei den Grünen macht.
Okay, rhetorische Frage. Zurück zu Conchita Wurst.
Drag-Queen-Auftritte sind immer eine Gratwanderung. Sie können schnell peinlich werden. Doch Conchita war alles andere als das. Sie war großartig, mondän, authentisch und durch und durch eine großartige Sängerin im Stil Shirley Bassey, die einen Song vorgetragen hat, der locker zu einem James-Bond-Film hätte passen können.
Conchita hat mit der Wahl ihres Oufits mehr Geschmack bewiesen als so manche der anwesenden Damen.
Ein paar Liebesgrüße nach St. Petersburg an der Stelle übrigens: Conchita Wurst ist kein „Transvestit“ (veraltet für „transgender“) sondern eine Drag Queen. Großer Unterschied.
Es gibt übrigens noch ein Signal, dass Hoffnung für Schwule macht. Und die kommen ausgerechnet aus den USA:
Michael Sam hat sich vor einiger Zeit geoutet, dass er schwul ist. Er ist NFL-Spieler, ein recht guter, doch Homosexualität und die NFL geht eigentlich nicht zusammen. Chris Kluwe war Supporter, was ihn zum Verhängnis wurde. Michael Sam hat sich geoutet in dem Wissen, dass er damit wahrscheinlich seine Karriere ruinieren wird. Viele haben ihm prophezeit, dass das der Fehler seines Lebens war.
Sie hatten – Gott sei Dank – Unrecht. Michael Sam wurde von den St. Louis Rams unter Vertrag genommen. In dem vollen Wissen um seine Homosexualität. Und welche Last von seinen Schulter gefallen ist, sieht man an diesem Video.
Alles in allem ist das sehr erfreulich. Ein Schritt weiter weg von der schrillen Szene hin zur Normalität. Und dass 5 Punkte aus Russland gekommen sind, läßt ebenfalls hoffen. Denn so sehr ich auf Seiten der Russen bezüglich der Ukraine stehe: Was deren Homophobie angeht, finde ich Russland nur noch abstoßend.
Geben wir Conchita Wurst noch 3 Minuten Zeit. Die hat sie sich verdient. 🙂
Veröffentlicht am 11. Mai 2014, in Mediales. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 18 Kommentare.
Ich gebe zu, dass Conchita mich irritiert – alleine schon die Tatsache, dass ich kein „passendes“ Personalpronomen finde. Er? Mag jetzt auf den ersten Blick zutreffen, und wird auch bei der allwissenden Müllhalde so benutzt, finde ich aber seltsam. Sie? Dazu passen weder Stimme noch Bart, und passt auch nicht richtig. Es? Geht gar nicht.
Auf der anderen Seite zwingt einen das dazu, jedesmal den Namen zu benutzen, wenn man über Conchita schreibt, was ja vielleicht auch nicht so schlecht ist. Dann wird gleich klar, dass es sich um ein Individuum handelt. Am Ende ist der Nachname aber richtig: es ist Wurst, es kommt nicht darauf an – oder sollte es jedenfalls nicht.
Conchita ist schon speziell, weil nicht der Ehrgeiz besteht, als Frau „durchzugehen“, sondern mit dem (sehr schönen) Bart signalisiert wird, dass da etwas nicht passt. Es wird nicht von einem gender zum anderen gewechselt, sondern eine Position gesucht, von der aus die Vorstellungen aufgelöst und in Frage gestellt werden können. Dass sie gewonnen hat, ist ein gutes Zeichen.
Kleine Anmerkung: ob Homosexualität natürlich ist oder nicht, ist nicht entscheidend. Es gibt auch Natürliches, was wir nicht gut finden. Wenn jemand ein Psychopath ist (weiß jetzt nicht, ob jemand als Psychopath geboren wird oder nicht, aber manche behaupten dies), dann erwarten wir trotzdem von ihm, dass er sich so benimmt, dass andere Menschen nicht unter ihm zu leiden haben. Aber Homosexualität ist nichts, worunter andere Menschen leiden, außer durch „Unwohlsein“ in Gegenwart homosexueller Menschen, und da sollten sich lieber die hinterfragen, die sich unwohl fühlen.
Ich bin zwiegespalten. Ich habe einerseits nichts gegen sie, andererseits frage ich mich schon, ob eine Kunstfigur wirklich lehren kann, dass man Leute so akzeptieren soll, wie sie sind.
Ja, kann sie. Denn alleine durch die große Sichtbarkeit zwingt sie zu der Auseinandersetzung mit einem Thema, das viele lieber irgendwo unter den Teppich gekehrt hätten.
Von daher finde ich auch diese Mischung Abendkleid und Bart so grandios. Plakativer geht nicht.
Das mit dem Personalpronomen ist eigentlich recht einfach: IMMER mit dem gehen wie er/sie aussieht. Wenn der Künstler Tom Wirth vor dir als Conchita Wurst steht – dann ist das: „Conchita“, „Frau Wurst“ und „sie“.
Wenn Tom Wirth als Mann gekleidet vor dir steht, dann ist das „Tom“, „Herr Wirth“ und „er“.
Das ist eigentlich nicht viel anders wie mit transgender: Du guckst, was vor dir steht. Conchita im Abendkleid ist eindeutig eine Frau. Egal ob Bart oder nicht.
Und notfalls hilft immer eins: HÖFLICH fragen.
Gut, dass mir Conchita wurst ist…
JoyntSoft, ich stimme zu. Sie ist mir genau so Wurst, wie es die meisten sind (wobei das „genau so“ nur eine Equivalenz und keine Aussage oder gar Wertung ist).
Besser, es würde mich nicht interessieren, wenn es niemanden interessieren würde. Doch Conchita polarisiert und legt es darauf an zu polarisieren, knallt uns ein Problem, unser Problem, auf die Füße.
Echt, ich mag ihren Song nicht. Ich mag ihr outfit nicht. Ich mag nicht einmal diese Veranstaltung, in der nach Ländern und Nationen „Musik“ gewertet wird.
Doch ich mag Conchita Aussage. Sie ist notwendig, weil wir eine Schere im Kopf haben. Das verdient Respekt.
Ansonsten gilt für mich: schwul, transgender, drag queen/king, what ever, das ist weder Markenzeichen und schon gar nicht Markel. Warum sollte ich darüber diskutieren, irgend etwas in Frage stellen? Meine Freunde sind aus anderen Gründen Freunde.
Conchita hat eine tolle Stimme, aber der Vergleich mit Shirley Bassey finde ich dann doch etwas dick aufgetragen. *g* Da fehlt es dann doch noch etwas an Groove und Esprit.
Mac, ich sagte, der Song ist an Shirley Bassey *angelehnt* – das ist kein Vergleich, sondern eine Einordnung ins Genre. *g*
Nichts gegen deinen guten Willen, aber meine Güte, so was besonderes ist Homosexualtität auch nicht …
… allerdings, dass eine Drag Queen den Pokal abräumt, das ist schon geil.
Der Musikgeschmack ist bekanntlich eine höchst subjektive Angelegenheit. Der eine mag Balladen, der andere liebt Techno und ein dritter steht auf Hardrock. Insofern ist eine objektive Bewertung im ESC und anderen Veranstaltungen dieser Art aus meiner Sicht von vorneherein schwierig bis gar unmöglich. Wenn es danach ginge, müsste man die SängerInnen vor die Playstation spannen und den Gewinner mit „Singstar“ ermitteln.
Kann Conchita Wurst singen? Ja, kann sie! Sie hat in ihrem Beitrag und sogar in der Wiederholung am Ende der Sendung trotz emotionaler Auflösung akkurat und stimmgewaltig jede Note getroffen, insofern Hut ab!
War der Song selbst ein Siegertitel? Hmm, schwierig. Auf alle Fälle war er meiner Meinung nach in den Top-5, was aber auch an den zum Teil mehr als grottigen Beiträgen der anderen Ländern lag (Hupfdohlen, die keinen einzigen geraden Ton herausbringen, haben in einem Sängerwettstreit nix verloren, auch wenn sie den Beitrag mit polnischen Hafermastgänsen am Waschbrett und Butterfass garnieren). Mir persönlich hat der ukrainische („Hamsterrad“) und der russische („blonde Zwillinge“) Beitrag besser gefallen. Und ich liebe die klassischen James-Bond-Themen von John Barry oder Paul McCartneys „Live and let die“, aber das ist mein persönlicher Geschmack.
Aber zurück zu Conchita:
Mir persönlich ist die sexuelle, optische oder sonstwie geartete Ausrichtung eines Menschen ziemlich schnuppe, ich habe allerdings etwas dagegen, wenn ich durch „political correctness“ dazu gezwungen werden soll, eine bestimmte Orientierung zu feiern und toll-super-dufte zu finden. Ich mag meine eigene Meinung und meine eigene Sichtweise und die lass‘ ich mir auch nicht künstlich verbiegen, es sei denn, jemand bringt gute Argumente dafür oder dagegen, dann ist es natürlich legitim, seine Meinung auch mal ändern zu dürfen.
Zunehmend allergisch reagiere ich, wenn jemand aufgrund seiner/ihrer Herkunft, Ethik, Religion, Geschlecht oder eben wegen seiner/ihrer sexuellen Orientierung der Ansicht ist, genau deshalb eine „Extrawurst“ verdient zu haben (shit, wollte Wurst-Wortspiele vermeiden…).
Deshalb habe ich nun ein Problem mit Conchitas Sieg.
Hat sie nun gewonnen, weil ihr Beitrag der Beste war und den Leuten das Lied und die Darbietung als solche gefallen hat?
Oder hat sie nun gewonnen, weil sie Drag-Queen und Mitglied der LGBT-Szene ist?
Hätte das Lied eine Chance gehabt, wenn statt Conchita ein(e) Heterosexuelle(r) in der gleichen Qualität im gleichen, bzw. dem männlichen Pendant ensprechenden Outfit gesungen hätte?
Und wie groß wäre die Empörung und der Vorwurf der Diskriminierung gewesen, wenn sie nicht gewonnen hätte?
So, ich hab „Jehova“ gerufen, Ihr dürft jetzt die künstlichen Bärte anlegen und Steine werfen! 🙂
Ja das ist schon bedenklich. Wenn man nicht die selbe Meinung über gewisse Sachen hat und diese abweichende Meinung äussert, wird man schneller als man denken kann in eine Schublade geschoben ( Homophob, Nazi, Anticrist…). Diese Unart der Diffamierung nimmt überhand in Foren , Diskussionsrunden ( im realen Leben ) und auch in Blogs. Blos keine Gegenrede sonst wirst du zum Buhmann und bist nicht erwünscht. Wie soll sich aber eine „Streitkultur“ erhalten die wichtiger ist als ständiges gebetsmühlenartiges Bejahen der “ korrekten“ öffentlichen Meinung? Und eine „Streitkultur“ ist meines erachtens eine höchstwichtige Angelegenheit in einer Demokratie sonst wäre es ja wohl eine Diktatur.
Siehe meinen zweite Artikel 😉
„Hätte das Lied eine Chance gehabt, wenn statt Conchita ein(e) Heterosexuelle(r) in der gleichen Qualität im gleichen, bzw. dem männlichen Pendant ensprechenden Outfit gesungen hätte?“
Auch die Frage ist mir prinzipiell Schnuppe. Meinetwegen darf sie sogar einen LGBT-Bonus bekommen haben. Aber ich frage mich nach wie vor, hätte es einen derartigen Bohei um sie gegeben wenn sie mit dem selben Titel in der selben Qualität vorgetragen aber ohne, dass eine Beziehung zur LGBT-Szene bestanden hätte?
Vermutlich kaum.
Und mich stört schlicht und ergreifend, dass es scheinbar mittlerweile nicht mehr pc ist, wenn man diesen Sieg diskutiert ohne auf jeden Fall gleichzetig seine immense Bedeutung für die Rechte der LGBT oder die angebliche Toleranz in Europa herauszustellen.
Es war ein Musikwettbewerb.
Karl, der ESC ist schon lange kein reiner Musikwettbewerb mehr. Das war er in der Form eigentlich nie.
Da spielten auch immer gesellschaftspolitische Dinge mit rein. Nicole hat doch damals nicht gewonnen, weil das Lied so toll war. Sondern weil das genau in die damalige Kriegsangst reinpasste.
Und dieses Jahr wars halt eine bärtige Drag Queen. Yay. Die gesellschaftspolitische Aussage hier war der Stinkefinger in Richtung Russland und Weißrussland, wo echt ganz üble Töne herkamen.
Natürlich hätte es den „Bohei“ NICHT um sie gegeben, wäre sie eine „normale“ Sängerin gewesen.
Isse aber nich. Sie polarisiert. Und das soll sie sogar – die Kunstfigur Conchita Wurst wurde zum polarisieren *erschaffen*. Das ist einer ihrer Daseinszwecke.
Schwer, das zu leugnen. 😉
Ich kenne den Herrn/Frau Wurst nicht, zumal ich den diesjährigen ESC auch nur vom Wegschalten kenne.
Insofern möge mich mal bitte jemand aufklären, was die Wurst mit Homosexualität zu tun hat.
Was ich weiß (oder zu wissen glaube): Biologisch ist das ein Mann. Er hat einen Bart und trägt Frauenkleider. That’s it!
Was ich nicht weiß: Ist er rechtlich Mann oder Frau? Ist er operiert? Sind die Stoßdämpfer echt oder Luftkissen? Wie sind seine/ihre sexuellen Präferenzen?
Wenn ich weder weiß, welches Geschlecht die Wurst hat noch auf welches Geschlecht sie steht, wieso ist dann Homosexualität überhaupt ein Thema?
Ich meine die Frage wirklich ernst. Von dem, was ich weiß, ist CW eine Kunstfigur. Die bürgerliche Person, der Mann, könnte glücklich mit einer Frau liiert sein. Und man(n) wird ja nicht bereits dadurch homosexuell, dass man sich die „falschen“ Klamotten anzieht!
Kinki, es ist echt einfach.
Die Kunstfigur Conchita Wurst ist weiblich. Anrede: „Sie“ und „Frau Wurst“ wenns sein muss. Oder Conchita. 😉
Tom Wirth, der Künstler dahinter, ist männlich. Und sehr offen schwul im übrigen. Das hat ja auch den Hauptaufriss ausgemacht 😛
Es ist tatsächlich so einfach. Übrigens gibt es bei Drag Queens keinerlei „Geschlechtsverwirrungen“ – die sind in ihrem Geburtsgeschlecht meist ganz gut zu Hause, anders als transgender.
Er zieht halt nur gerne Frauenklamotten an.
Und ehrlich? Er kanns auch *g*
Der sieht im Fummel besser aus als ich *g*
Kinki, wie wahr.
Trotzdem muss man zugestehen, dass die Aussage der Kunstfigur Wurst aufsehen erregt, irren Dummflug, etwa den einer „katholischen“ Webseite provoziert und sie damit entlarvt und trotzdem ein großer Aufruf für Toleranz ist.
Ich mag sie nicht und auch ihre Musik nicht. Doch dieses Statement macht es mehr als wett. Es macht die Welt besser.