Voll vor die Wand


Das Leben ist nicht immer geradeaus. Es gibt Kurven, es gibt Hindernisse und Sackgassen. Und nicht immer findet oder sieht man sie auf Anhieb.

Allzuoft läuft man dann mit voller Wucht gegen das Ende einer Sackgasse. Und braucht lange, bis man sich wieder sammeln kann.

Woher ich das kenne? Ratet doch mal.

Es wissen nur recht wenige und noch weniger haben das evtl. auf dem Schirm. Die Frau, die hier ziemlich tough rüberkommt, hat ihr Leben recht nachhaltig gegen die Wand gefahren.

Es war Ende 2009. Ich wurstelte mich so durch. Durch mein Leben und durch meine Arbeit, beides wurde mir zuviel, beides habe ich nicht realisiert.

In der Nachbetrachtung ist es einfach: Ich war zu sehr damit beschäftigt, *irgendwie* einen Job aufrechtzuerhalten mit dem ich schon lange mengen- wie kenntnismäßig überfordert war, dass ich die Sackgasse, in die ich gefahren bin, nicht mehr sehen konnte.

Die Mauer am Ende hieß: Diagnose Krebs.

War ein ziemlicher Einschnitt und einer der wenigen Dinge, die ich wohl nicht vergessen werde. Nicht vergessen kann. Es war wieder Festivalzeit. Das Wochenende hatte ich damit zugebracht, beim Kanalfestival bisschen in der Organisation zu helfen. Freitag bis Sonntag. Eine Woche frei danach, weil Überstunden 🙂

Montags bist du dann aber auch erstmal ziemlich tot. Und so hab ich dann auch am Montag erst gegen kurz vor mittag gesehen, dass ich meinen Gyn noch anrufen wollte. Untersuchungsergebnisse standen an und ich wollte wissen, was es gegeben hatte. Nicht, dass ich mir Sorgen machte – nö. Aber ich wollts halt wissen.

„Ne, das möchte ich ihnen am Telefon lieber nicht sagen, kommen sie vorbei?“
„Äh, ist aber doch gleich mittag?“
„Macht nix, wir warten.“

Diagnose war zu dem Zeitpunkt eigentlich klar. Aber wie sehr mein Leben auf einem dünnen Grat balancierte, merkte ich erst viel später. Therapie: OP, dann sollte es gut sein. Aber es war nicht gut. Der Gyn hat bei der OP leider die Drainage vergessen. Abszessbildung. Fast 3 Monate Krankenhaus bis der Rest dann zu Hause zuheilen konnte.

Tag der ersten Krankschreibung: 1.9.2009. Ab Mitte Februar haben wir *angefangen* über eine Wiedereingliederung zu sprechen. Wir, denn zu dem Zeitpunkt habe ich das nicht mehr vollständig alleine entschieden.

Vor der Diagnose „Krebs“ stand bereits eine andere Entscheidung, die getroffen werden musste.

Denn Depressionen und, wie ich jetzt weiß, Dyskalkulie plus ADHS (das ist inzwischen ausgetestet, glaubts mir) ist nicht wirklich eine gute Mischung, wenn es um Finanzen geht.

Ich weiß nicht, wenn ich 30 Euro im Portemonnaie habe, ob das Geld für die Einkäufe reicht oder nicht, wenn es mehr als 3 Sachen sind. Ich WEISS das nicht. Ich kanns nicht ausrechnen, ich habe dafür kein Gespür.

Fehlende Konzentration tut dann ihr übriges – und so stand ich mit einem Rucksack voller unerledigter Rechnungen eines Tages in meinem Büro. Und stellte fest: Das schaffst du nicht mehr. Ich stand am Fenster. Und überlegte wirklich: Springste. Ich weiß nicht mehr ob *ich* den Kollegen angerufen hat, oder er mich und so den Gedankengang unterbrochen hatte.

Aber plötzlich standen 3 äußerst besorgte Kollegen inklusive Chef um mich herum und haben die diversen Hilfsmöglichkeiten ausdiskutiert. Erstmal: Für den Rest der Woche weg und dann Kontaktaufnahme mit einer psychosozialen Beratungsstelle.

Am Ende stand dann die rechtliche Betreuung, soweit es Finanzen und die Post anging. Zwei Dinge, die ich nicht mehr leisten konnte.

Es kann sich keiner vorstellen, welche Erleichterung es war, dass von den Füßen zu haben. Ich hatte die größte Belastung mit einemmal von den Schultern. Es wurde geregelt und ja, es war auch genügend Geld da, das zu regeln. 3 Monate später waren die Rechnungen bezahlt (wie, weiß ich heut nicht) und alles lief seinen Gang. Ich war dabei, das ganze mit der Betreuerin so zu regeln, dass ich langsam wieder alles übernehme, allein: Siehe oben, es kam die Diagnose „Krebs“ dazwischen.

Das alles ist weitgehend Schnee von gestern. Ich habe Zeit gehabt, zu heilen. Mich mit bestimmten Dingen zu arrangieren und Lösungen für die Probleme zu finden.

Ich kann die Dyskalkulie und die ADHS nicht wegdiskutieren – aber ich kann damit leben. Wenn ich mich nicht konzentrieren kann, dann mache ich was anderes und später weiter. Es geht. Excel bzw. die Libre Office Tabellenkalkulation tut das, was ich nicht kann: Rechnen.

Und Stück für Stück hole ich mir mein Leben zurück. Lerne, dass es, auch wenn es eng wird, doch ein Überleben geben kann. Lerne, dass 100 Euro mehr sind, als ich dachte. Ich werde nicht mehr mit Geld umgehen können – aber ich kann einteilen. Rot: schlecht. Schwarz: Gut. So funktioniert die Tabelle und sie funktioniert gut.

Dieser Monat ist der erste, wo ich mein Konto wieder vollständig selbst verwalte. Das erstemal seit fast 4 Jahren.

Fühlt sich gut an. Und wieder ein Stück von meinem Leben zurückgeholt.

Holen wir den Rest. Es wartet nicht.

Veröffentlicht am 20. September 2014, in Persönliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 17 Kommentare.

  1. Genau.. Schnapp es Dir! Und dann würg es, bis es blau anläuft ;)..
    Nee, ernsthaft..mich freut das sehr für Dich 🙂

  2. Dann musst Du ja mit allem rechnen,

    damit war zu rechnen,

    ausgerechnet ne Tabellenkalkulation,

    rechne nicht mit Hilfe von anderen…

    *nimmtdiebeineindiehandundfliegtmitnemjuwelenbesetztenonyxpantherdavon*

    😉

  3. Wow. Fein, dass du das Stück jetzt zurück hast. Dir viel Freude damit zu wünschen, ist vielleicht nicht ganz angebracht. Aber viel Erfolg damit, den wünsche ich dir.

  4. Glückwunsch und *Daumen drück* für den weiteren Weg.

  5. Ich freu mich für Dich, und glaub auch fest daran dass Du den Rest auch noch packst.

  6. Hey Tantchen, ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Jetzt habe ich wieder etwas worauf ich mich freue zu warten: Dein nächster Eintrag auf daujones. Dort habe ich dich kennen gelehrnt und dort würde ich, wenn es dir wieder gut genug geht und du überhaupt wieder in die Branche willst, gerne wieder von dir lesen.

  7. :ganzdollknuddel:

  8. Obwohl ich schon zu AOL-Zeiten der Knuddelei eher skeptisch gegenüber stand – fühle Dich einfach mal aufgrund maximaler Sympathiebezeugung meinerseits ganz dolle geknuddelt 🙂

  9. Mach mal, das mit dem Rest holen. Manchmal braucht man so eine Stein auf dem Weg, über den man stolpert oder auch schon mal fällt, um zu merken dass es da vielleicht noch mehr zu holen gibt.
    Aber selbst gestolpert seiend gebe ich zu, dass man erstmal mühsam die Knochen sortieren muss nach dem Stolpern und es auch dann noch eine ganz Weile dauern kann, bis man in der Lage ist den Rest des Lebens abzuholen.

    Viel Erfolg dabei!

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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