Lehrgeld
/update: Sollte man nich tun: Mittendrin eine Kehrtwendung und dann die Richtung des Textes ändern. Ich habs etwas nachbearbeitet und angefangene Sätze beendet 😉
Medizynicus machte eine Umfrage zu einem recht wichtigen Thema. Diese Umfrage war anonym gestaltet. Nichts wies darauf hin, dass die Ergebnisse namentlich veröffentlicht wurden (was insbesondere bei der Fragestellung der Männer verdammt mies ist).
Ist inzwischen anonymisiert. 😉
Kommen wir nun zum Thema an sich.
Dass die Umfrage keinen wissenschaftlichen Wert hat, sollte auch ein Blinder verstanden haben. Aber was weder Medizynicus noch Molly verstanden haben:
Es geht nicht um „Triebe“ bei Vergewaltigung. Es geht nicht darum, dass der Mann endlich mal Spaß hat und sein Würstchen wegstecken kann.
Es geht um Macht. Nichts anderes. Jede Vergewaltigung gibt dem Täter (oder der Täterin) einen Kick in Richtung „weil ich es kann“. Man hat niemals mehr Macht über den anderen als wenn man ihm was aufzwingt. Ja, auch Frauen sind Täterinnen, Männer durchaus Opfer. Ein viel verschwiegenes Detail der derzeitigen Kriege ist, dass Männer von Männern reihenvergewaltigt werden.
Sind die Täter alle schwul? Nein. Die meisten dürften Heterosexuell sein, vielleicht Bi. Es geht bei der Vergewaltigung jedoch nicht um Sex – es geht um Macht. „Du bist in meiner Hand, ich kann mit dir machen, was ich will“.
Molly hingegen hat ein Problem in der anderen Richtung:
Nur sind es in meiner Wahrnehmung und Kenntnis der Fakten eben überwiegend Männer, die Frauen sexuell belästigen. Punkt.
Diese Wahrnehmung ist keine „Kenntnis der Fakten“. Es bleibt – natürlich – auch eine Quelle schuldig, wo drinsteht, dass Frauen überwiegend Opfer werden.
Zur teilweisen Ehrenrettung sei ihr hier gesagt: Ja, die Mehrheit der Opfer sind tatsächlich Frauen. Aber mitnichten, weil sie schwächer wären.
Beispiele gefällig?
Eine junge Frau steht am Busbahnhof. Aufrecht, die Stöckelschuhe und der Minirock sehen gut an den langen Beinen aus. Sie ist hübsch, hat blonde Haare und das schulterfreie Top zeigt sehr klar, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlt, dass sie Selbstbewußtsein hat. Sie geht auf und ab, der Kopf hochgestreckt, die Hand in der Jackentasche, die Jacke hängt locker über der Schulter, es ist warm genug dafür.
Eine andere junge Frau kleidet sich grundsätzlich eine Nummer zu groß. Sie versteckt ihre Figur hinter ihrer Kleidung. Selbst wenn es sehr warm ist, hat sie immer noch eine Hoodie an, die Kapuze über den Kopf gezogen. Sneakers – damit sie im Notfall schneller rennen kann. Der Blick ist gesenkt, die Hände fest in den Taschen der Hoodie gepflanzt, zu Fäusten geballt. Unter dem gesenkten Blick mustert sie nervös jeden Mann und schätzt ihn auf potenzielle Bedrohlichkeit ab.
Ein Mann nähert sich der Blondine. Er fragt sie nach Feuer und stellt sich absichtlich in ihren persönlichen Wohlfühlbereich. Die Blonde guckt ihm geradewegs ins Auge und drückt ihn weg. Sie bewegt sich nicht einen Millimeter zurück.
Ein Mann nähert sich der anderen jungen Frau. Er fragt sie nach Feuer für eine Zigarette und stellt sich absichtlich in ihren persönlichen Wohlfühlbereich. Die junge Frau weicht zurück bis der Rücken an der Wand des Bushäuschens gedrückt ist. Der Mann folgt ihr. Sie hat kein Feuer und sagt: „Bitte, lasse sie mich in Ruhe, ich habe kein Feuer“.
Leute, der Mann, der auf Blondie gestoßen ist, wird die Hände in Abwehrhaltung erheben und weggehen. Der Mann, der auf die Hoodie-Frau gestoßen ist, hat Vollzugriff, er hat wenig bis keinen Widerstand zu erwarten. Die Frau ist so verängstigt, dass er sie greifen und in jede dunkle Ecke zerren kann – und wenn sie schreien sollte, reichen 1 – 2 Ohrfeigen, dann ist sie still und er kann tun und lassen, was er will.Es sind, zugegebenermaßen, Extrembeispiele. Und nein, auch die Hoodie-Frau hat NICHT darum gebeten, vergewaltigt zu werden. Das ist KEIN Victim-Blaming, es gibt für derartige Übergriffe keine Entschuldigung.Aber es ist auch keine Lösung, in jedem Mann, egal wie alt, eine potenzielle Bedrohung zu sehen. Die meisten Männer sind durchaus anständig, sie wollen ihr Leben leben und haben ganz sicher keine Intention, eine Frau zu vergewaltigen oder auch nur den Wunsch – im Gegenteil, sie sind regelrecht abgestoßen davon.
Die vereinzelten kranken Menschen, die darauf abgehen, sich jemandem aufzuzwingen – das ist die eigentliche Minorität. Es besteht zumindest hier in Deutschland, kein Grund, dunkle Ecken zu meiden. Es wird nicht gleich jemand aus dem Schatten springen und „Hab dich“ rufen, bevor er die Klamotten runterreißt.
Und hier ist Mollys Problem: Sie ist sehr offensichtlich jemand mit wenig Selbstbewußtsein. Sie hat deutlich Angst vor ihrem eigenen Schatten. Wege in der Dämmerung sind ihr suspekt, sie erwartet quasi, dass sie Opfer wird.
Hier kann es tatsächlich passieren, dass sie etwas in einem Mann, zumal, wenn er alkoholisiert und teilweise enthemmt ist, das Gefühl gibt, das er damit durchkommen kann. Und dann werden viele auch aggressiv, angestachelt noch durch harten Alkohol. Das ist nicht richtig.
Das machts nicht besser – eine Erklärung ist KEINE Rechtfertigung. Aber vielleicht sollten wir alle mal aufhören, dass jeweils andere Geschlecht als „Feind“ zu begreifen, der nur darauf wartet, dass er einem wehtun kann.
Denn umgekehrt geht es genauso. Kachelmann, Türck: Zwei prominente Fälle, wo Frauen das umgedreht haben, die die Opferrolle einnahmen, um zu Tätern zu werden. Die Haltung, dass man Männer bei Anschuldigungen in jedem Fall verurteilen muss, damit man Opfern nicht den Mut nimmt, den Täter anzuzeigen, ist furchtbar.
Halten wir fest:
Eine Vergewaltigung ist abscheulich. Jemand, der der vergewaltigt wird, hat meist sein Leben lang an den Folgen zu tragen. Therapien folgen, viele Jahre werden damit verbracht, zusammenzusetzen, was in Minuten zerschlagen wurde.
Doch auch:
Falschbeschuldigungen sind für die Betroffenen zerstörerisch. Wer falsch beschuldigt worden ist, dessen Leben ist nicht mehr wie vorher, etwas bleibt immer hängen.
Aber weder ist die Mehrheit der Männer Täter noch ist die Mehrheit der Frauen Opfer. Und genauso ist die Mehrheit der Anzeigen eine Falschbeschuldigung. Das werfe ich zum Beispiel Jörg Kachelmann vor. Der ist so dermaßen bitter geworden, dass JEDE Frau, die jetzt einen Übergriff anzeigt, automatisch für ihn eine Falschbeschuldigerin ist.
Es gibt auch den Begriff der „sexuellen Belästigung“, der mit Vorsicht genutzt werden muss. Was für den einen noch in Ordnung ist, ist beim Nächsten schon ein Übergriff.
Aber:
Wo zieht man die Grenze? Wie kann man sie erkennen? *Kann* man sie erkennen?
Wichtig ist einfach: Klare Haltung zeigen. Was man nicht will, tut man auch nicht. Und SAGT das auch deutlich. Wenn ich mit einem Menschen nicht schlafen will, muss ich das auch nicht. Wenn mir ein Mensch auf den Sack geht, kann ich das sagen. Ich kann – und muss – meine eigenen Grenzen aufzeigen und verteidigen. Wenn ich „NEIN“ sage, ist das zu akzeptieren. Es gibt keine Entschuldigung, ein „NEIN“ zu ignorieren. Aber ich muss „NEIN“ sagen.
Es wird niemanden geben, der das für mich tut.
Veröffentlicht am 11. Oktober 2014, in Nachdenkliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 8 Kommentare.
Ich dachte gerade im Vorfeld für einen eigenen Blogbeitrag über diese althergebrachte Verteilung von Opfer- und Täterrollen nach. Und ich fragte mich eben auch (auch wenn das jetzt vielleicht auch nach victim blaming aussieht, es aber keinesfalls sein soll), was uns daran hindert, diese Rollen zu verlassen.
Beispiel: Ich bin einmal nachts von jemandem verfolgt worden. Ich war auf der Straße, weil ich nie eingesehen habe, weshalb ich dort nicht sein sollte. Ich ging von Partys immer auch frühmorgens noch zu Fuß nach hause – das war irgendwie selbstverständlich. Natürlich war ich erleichtert, als ich meine Haustür hinter mir geschlossen hatte, nachdem ich da verfolgt wurde. Ich habe mich zugleich auch geärgert, weil mich jemand aus dem öffentlichen Raum draußen vertrieben hatte. Aber ich habe das Draußen trotzdem nie gemieden. Ich habe den Vorfall aber der Polizei gemeldet, weil ich mir nicht sicher war, ob andere Frauen genau so viel Glück haben oder in der Begegnung mit dieser Person nicht eventuell den Kürzeren ziehen würden. Was mich richtig ärgerte war, was ich mir bei der Polizei anhören durfte. Was ich denn so nachts auch auf der Straße zu suchen hätte, so als Frau. Das sei ja leichtsinnig. Mein Gegenüber war Polizistin.
Solche Erlebnisse verschmelzen mit den „Pass bloß auf!“-Sätzen unserer Mütter und den Klischees über „den“ Mann als Täter an sich zu einem Schreckensszenario, das Frauen aus dem öffentlichen Raum fernhält und zu leichteren Opfern macht. Ich stimme Ihnen da voll und ganz zu. Wer Opfer wird, ist nicht selbst schuld. Aber man kann dennoch daran arbeiten, sich nicht zum Opfer machen zu lassen bzw. nicht von vornherein als solches in die Welt zu gehen. Ich bin in meinem Leben einige Male wirklich Opfer gewesen und habe das akzeptieren müssen, um zu dem Punkt zu gelangen, eben kein Opfer mehr sein zu wollen. Die Grundannahme, ein Recht auf Grenzen zu haben, stellt sich nicht von allein ein. Man sollte schon auch lernen, diese Grenzen zu verteidigen.
Volltreffer und richtig toller Beitrag.
Richtig unangenehm wird es aber auch für Männer, wenn diese, wie ich, ein wenig zügiger zum Kunden gehen müssen, weil wissen schon, wir haben doch keine Zeit, und die Dame (etwa Mitte 20), die vor einem geht, ihre Schritte beschleunigt – gegen 19:00h in einer gut beleuchteten Gegend.
Grüße von einem Pfleger bei einem ambulanten Pflegedienst.
JoyntSoft, das ist blöd, da stimme ich Ihnen zu.
Der Mann, der eine Frau nachts zu Fuß auf dem Bürgersteig verfolgt, diese Schritte hinter ihr, das ist natürlich auch ein vielzitiertes Gefahrenklischee und hat vermutlich nicht sehr viel mit der Realität zu tun. Wie ich ja schon geschrieben habe, ist das glaube ich etwas, das unsere Mütter uns als Mädchen erzählen, um uns vor der bösen Welt da draußen zu warnen. Wie oft eine solche Situation als tatsächliche Gefahrensituation in der Realität vorkommt, würde mich mal interessieren.
Ein bisschen geht es mir mit dieser Geschichte wie mit der Warnung, als Mädchen bzw. Frau bloß nicht allein zu reisen oder gar zu trampen, weil – da draußen warten ja nur an jeder Ecke böse Männer, die dich armes Kind vergewaltigen wollen. Ich las einmal bei Kleinerdrei einen wunderbaren Artikel einer Frau, die es trotzdem versuchte und keine unangenehmen Erlebnisse vorweisen konnte, geschweige denn eine Vergewaltigung. Im Gegenteil, sie fühlte sich durch die Erfahrung des Allein-Reisens gestärkt.
Dass Männer solche Klischees pauschal zu potenziellen Tätern degradiert, ist ein Unding, das meinem eigenen Gatten auch immer wieder sauer aufstößt. Ich frage mich, welche Funktion solche Schauermärchen haben. Dabei will ich betonen, dass ich nicht leugne, dass es sexuelle und anderweitige Gewalt gegen Frauen gibt und jedes Verbrechen eines zu viel ist. Ich stelle mir halt die Frage nach dem Grund, warum die Geschichten darüber so wunderbar zur Sanktionierung eines Geschlechts taugen, ohne dass man tatsächlich Verbote aussprechen muss.
„Bild Dir Deine Meinung“
Nicht nur dieses Sch*blatt, sondern auch andere Medien befördern solche Vorurteile immer wieder – man kann sich dem nicht entziehen.
Und irgendwann höhlt den stete Tropfen den Stein und man sieht nur noch Gefahren um sich herum.
Leider…
Im Beitrag unter „Beispiel gefällig?“ im 5.Abschnitt, 5.Zeile, hat sich ein Fehler eingeschlichen.
Da steht:
…und wenn sie schreien sollte, reichen 1 – 2 Ohrfeigen, dann ist sie still und er kann tun und lassen, was sie will
Ich denke, es soll heißen:
…er kann tun und lassen, was sie nicht will…
oder …er kann tun und lassen, was er will…
Ansonsten 😉 ein super Beitrag, vielen Dank
Hab ich korrigiert, danke 🙂
und danke für die Blumen 😉
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