Clarissa – Erwachen


Na dann: Türchen eins. 😉

Clarissa wurde wach. Das erste, was sie wahrnahm, war das unglaubliche Gefühl, ausgeruht zu sein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten mal geruht hatte, geschweige denn geschlafen. Sie lag im Bett, die Augen geschlossen und entdeckte das Gefühl neu für sich. Doch allmählich rückte ihre Umgebung näher. Sie öffnete die Augen und blickte sich um. Über ihr schwebte ein Betthimmel aus schwerem rotem Stoff, aufgehängt an vier massiven Pfosten aus altersdunklem Holz. die Wände waren weiß gekalkt und die Decke eher niedrig. Ein dicker Ohrensessel stand am holzgefaßten Kamin, davor ein gepolsterter Schemel, der dazu einlud, die Füße nach einem langen Arbeitstag auszustrecken. Der Dielenboden war mit einem gewebten Teppich in der Farbe des Betthimmels bedeckt.

Langsam zog sie sich in den Kissen hoch bis sie saß. Für einen Moment überwältigte sie der Schwindel. Gott, wie lange hatte sie hier gelegen? Und warum? Auf dem Nachttisch neben dem Bett stand eine Tasse mit einem dampfendem Gebräu das köstlich duftete. Sie lehnte sich zurück, nahm die Tasse und trank einen Schluck. Es schmeckte süss und sie merkte, wie ihre Kräfte allmählich zurückkehrten.

Clarissa blickte sich um und nahm den Raum näher in Augenschein. In einem holzgefaßten Kamin prasselte ein lustiges Feuer und an der Wand unter dem niedrigen Fenster mit den Butzenscheiben stand eine Truhe. Die Scheiben waren dick und von Luftblasen durchsetzt. Die junge Frau selbst war in ein weißes, langes Leinenhemd gehüllt.

Sie nippte weiter an dem Trank und versuchte, sich daran zu erinnern, wie sie hergekommen war und wer sie in dieses Nachthemd gesteckt hatte. Doch außer vereinzelten, blitzartig auftauchenden Bildern lag ein Schleier über ihrer Vergangenheit, der alles auslöschte. Sie schrak instinktiv zurück – diese Bilder waren mit einem Leid verbunden, dem sie sich nicht gewachsen fühlte.

Clarissa trank die Tasse aus und versuchte, aufzustehen. Zu ihrer Überraschung gelang ihr das, auch wenn die Knie noch unangenehm zitterten. Vor dem Feuer stand ein Tisch mit einem Tablett und etwas, das ein Frühstück sein konnte. Langsam, bedächtig, Schritt für Schritt, ging sie zum Tisch, setzte sich und begann zu essen.

Das Brot schmeckte nussig, die Butter war cremig. Der Aufstrich war aus Früchten, die sie nicht kannte. Es wirkte fremd, nichts war so, wie sie es kannte. Oder glaubte zu kennen, angesichts ihres Unvermögens, sich an ihre Vergangenheit zu erinnern.

Als sie fertig gegessen hatte, lehnte sie sich zufrieden zurück und blickte hinaus. Durch die dicken Butzenscheiben konnte sie verschwommen weitere Häuser sehen. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, schien es um die Mittagszeit zu sein. Die junge Frau nahm ihre Umgebung genauer in Augenschein um und entdeckte auf der Truhe Kleidung. Eine helle lederne Tunika und eine braune Lederhose lag dort. Auf dem Boden standen ein paar feste Stiefel. Alles von erkennbar guter Qualität. Die leinene Unterwäsche lag sorgsam gefaltet neben der Lederkleidung. Sie zog sich rasch an und war wenig überrascht, dass die Sachen wie angegossen passten.

Clarissa war neugierig, wer sich denn wohl so um sie sorgte und ging zur Tür, die sie unverschlossen fand. Sie betrat den mit dunklem Holz getäfelten Flur und sah sich um. Der Flur war langgestreckt und dunkel. Nur ein paar kerzenbeleuchtete Lampen sorgten für Helligkeit. Am Ende sah sie eine Treppenflucht. Langsam ging sie über die mit dickem Teppich belegten Dielen, die leise knarrten.

Rechts und links gingen weitere Türen ab, Clarissa versuchte, eine zu öffnen, doch sie war verschlossen. Die Treppe bestand aus gediegenem Holz, altersdunkel und glattpoliert. Sie führte in einen Eingangsflur und dort sah sie mehrere Räume abgehen.

Sie entschloß sich, die Küche zu betreten. Die Feuerstelle brannte hell, ein Kessel mit dicker blubbernder Flüssigkeit, ähnlich der, die sie in ihrem Becher vorgefunden hatte, hing über dem offenen Feuer.

Der Raum wurde von einem massiven Tisch beherrscht, der aus einer einzigen Holzscheibe gefertigt war. Clarissa staunte. Der Baum musste riesig gewesen sein und sehr alt. Die Maserung war reich und vielfältig. Keine Unvollkommenheit störte das Muster der Jahresringe. Die Beine, die die Tischplatte trugen, wirkten knorrig und verzweigt, sie waren ebenso massiv wie die Platte.

Die Küche wirkte angenehm bewohnt. Ein Teller stand auf dem Tisch, offensichtlich benutzt, ebenso wie der Becher, der daneben stand. Es gab also doch noch Bewohner außer ihr selbst in diesem Dorf? Bislang wirkte alles so verlassen.

Clarissa trat durch den rückwärtigen Ausgang in den Garten, der sich hinter dem Haus befand. Die Wege waren sauber geharkt, die Pflanzen sorgsam gepflegt. Ein paar Obstbäume rundeten das Bild ab.

Das Mädchen wunderte sich über das Dorf. Es war seltsam hier. Sie sah niemanden. Kein Kinderlachen, nichts. Und doch wußte sie, dass zumindest ein weiteres Lebewesen hier sein musste.

Das Dorf selbst wirkte auf sie, als wäre es neu. Der große Holztisch in der Küche wirkte frisch geschnitten. Und doch lag ein Hauch von Ewigkeit über allem – sie konnte es nicht besser erklären.

Sie blickte nach oben und besah sich den Himmel. Die Wolken hingen so dicht, dass sie die Sonne nicht sehen konnte, doch nach Regen sah es nicht aus. Weiter ging sie die Wege entlang, lernte das Dorf kennen. Wo waren die Menschen?

Die gibt es nicht mehr. Oder sollte ich sagen – noch nicht?“ Eine weiche Stimme ertönte hinter ihr und Clarissa erschrak. Sie wirbelte herum. „Wer ist da?“ fragte sie ängstlich. Die körperlose Stimme antwortete amüsiert: „Ein Freund.“

Veröffentlicht am 1. Dezember 2014, in Kreatives. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.

  1. Oh jetzt errinnere ich mich :3 Diese Story! Bin mal gespannt was draus wurde :3

  2. „Oder sollte sich sagen“ – letzter Absatz. Sich?

    Sofern jetzt Korrekturanmerkungen erlaubt sind 😉

    Danke für diese schöne Geschichte – ich freue mich auf die weiteren Kapitel.

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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