Legenden sterben, doch einer trauert nicht


Analyse eines Klickbait-Artikels.

Jetzt: „Warum ich nicht um Prince trauere“.

Der Sänger „Prince“ starb und es gibt viele Fans, die um ihr Idol trauern. Andere erkennen an, dass er  die Popkultur einer ganzen Ära direkt geprägt hat – und im Nachgang als Songschreiber weiter Musik produzierte und so weiter sein Musikverständnis auf andere übertrug.

Doch es gibt auch die, die nicht „trauern“. Und hier kommt die Grenzziehung in Social Medias wieder zum Tragen. Es fehlen Puffer, die die Wucht der ungefilterten Äußerungen irgendwie in Kanäle leiten könnte. Und so gibt es – wie üblich – für einige Tage eine Flut an Trauerbekundungen, Reminiszenzen und Würdigungen.

Und es gibt, natürlich, Artikel, die auf Klickbaits setzen. Inhaltlich weitgehend leergefegte Artikel, die aber sehr viel Buchstaben auf diese Inhaltsleere verwenden.

Meet Max Sprick, Autor des eingangs genannten Artikels.

Die Analyse kommt aufgrund des Leistungsschutzrechts ohne direkte Zitate aus. Die Zahlen, die ich in Klammern gesetzt habe, zeigen den Absatz im Artikel an.

(1) Der Schreiber schildert die Auffindesituation. „Ein unwürdiges Ende“ – ich weiß nicht, wie ein „würdiges Ende“ aussieht? Flugzeugcrash gegen einen Berg? Ordentliche Überdosis? Das bleibt der Schreiber leider schuldig. Auch sonst ist kein Informationsgehalt abseits von  „Prince ist tot“, was wir schon wissen, übersichtlich.

(2) Der zweite Absatz erklärt, dass die Fans (!), die ja nicht umsonst so heißen, die „ihre“ Künstler verehren, aus den verschiedensten Gründen, Lemmy Kilmister, David Bowie und Prince als Legenden gesehen hatten. Und das waren sie auch, jeder auf seine Art. Lemmy der fröhliche Radaubruder, mit dem man in der Kneipe erst einen trinkt bevor man ordentlich auf die Tasten/in die Saiten haut. David Bowie, der Gentleman, der sich selbst und seine Kunst immer wieder neu erfunden hatte. Und Prince, der verschlossene, der geniale Musiker der lieber im Hintergrund stand als vorne auf der Bühne.

Viele Menschen waren vom Tode dieser Menschen betroffen, doch Max Sprick, laut eigener Aussage nicht.

Beides ist legitim. Es besteht kein Trauerzwang und ich habe auch nirgends gesehen, dass jemandem die Trauer aufgezwungen wurde. Warum denn auch? Trauer ist persönlich und die Trauer um den geliebten Künstler ist genauso real wie die Trauer um einen geliebten Menschen. Jemand, der einem viel bedeutet hat, ist nicht mehr da und wird nicht wiederkommen. DAS ist der Kern von Trauer.

Demgegenüber steht die ebenso legitimierte Haltung von Max Sprick, der das alles eben nicht fühlt.

Was hingegen nicht in Ordnung ist, ist das verächtlichmachen der jeweils anderen Gruppe. Er hat sogar Recht, wenn er sagt, dass die Musik-Welt eine andere sein wird. Doch ihn interessiert das offensichtlich nicht – und an der Stelle frage ich:

Wozu dann der Artikel? Der schnelle Groschen zwischendurch? An der Stelle läßt mich der Artikel etwas ratlos zurück, denn es liest sich wie ein „guckt mal, was mich alles nicht interessiert“ Ähm, ja?

(3) Etwas persönlicher Hintergrund, um zu untermauern, dass man zu den Künstlern schon deshalb keinen Draht hat, weil man zu jung sei. Ich werde das meiner 3jährigen Nichte, die AC/DC-Fan ist ausrichten. Und den jugendlichen Syrern, die Bowie hören, die bis zu 12 Jahre jünger sind als Max Sprick. Genau das ist es ja, was Bowie, Kilmister und Prince zu Legenden machte: Die Fähigkeit, Generationen über ihre Musik zu verbinden. Das Alter ist KEIN Grund, warum man keinen Draht bekommen sollte. Der Absatz endet mit der Frage, ob die wirklich sooo wichtig waren.

(4) Dieser Absatz ist eine Aneinanderreihung von Prahlereien mit Nichtwissen. Er weiß lediglich dass Motörhead mit „ö“ geschrieben wird. Er kennt die großen Songs von Prince und Bowie. Das ist Ignoranz pur. WENN ich einen Artikel über Musiklegenden schreibe, dann recherchiere ich zumindest und versuche nachzuvollziehen, warum die drei als Legenden gewertet werden.

Statt dessen: *schulterzuck* ich kenn die nich, ich schreib hier nur einen Artikel. Woher soll ich wissen, warum das Legenden sind.

So schreibt kein Journalist, der seine Arbeit auch nur ansatzweise ernst nimmt.

Hauptsache, seine Musik-Welt (sic) besteht weiter. Inwieweit die von den Musikern beeinflusst wurde wird nicht erklärt. HIER wäre der Platz gewesen zu sagen: Yo. Meine Musik war das nicht, aber…. – nur: Das kommt nicht, das ist nicht gewollt, das gehört nicht in einen Klickbait-Artikel, der provozieren soll. Der dem Leser ein „genau so isses“ abringen soll, wenn es um die Reminiszenzen im „realen“ Leben geht – denn, schließlich:

Ich erspare mir an der Stelle die weiteren Absätze, denn es geht Stück für Stück so weiter, immer die Haltung: „Interessiert mich alles nicht, ich schreib hier nur einen Artikel“. Herr Sprick verfügt über eine bemerkenswert limitierte Bildung in Musik, er kann sich noch nicht einmal dazu aufraffen, seine Behauptungen zumindest einem kurzen Wikipedia-check zu unterziehen, als er die steile These aufstellt, dass es Hip-Hop in den 70ern noch nicht gegeben hat – und damit eine Falschbehauptung aufstellt.

Die 70er waren das Jahrzehnt, in dem der Hip-Hop erfunden wurde. Der englische Wikipedia-Eintrag dazu ist hochspannend.

Fazit:

Leute, lasst euch nicht vorschreiben, auch nicht von Max Sprick, wie ihr auf den Tod von Künstlern zu reagieren habt.

Ja, die Flut trägt teilweise hysterische Züge, weil es eben auch menschlich ist, dass man sich gegenseitig verstärkt, Social Media trägt einen nicht unerheblichen Verstärkungsanteil dazu bei.

Der Mensch ist nun mal so – Ausnahmen bestätigen die Regel eher als dass sie sie negieren.

Trauer ist individuell. Trauer ist persönlich. Wie und mit welchen Ausdrucksformen jemand trauert, das ist erstmal völlig wurscht. Die meisten finden nach der Trauerzeit auch wieder zurück ins Leben und für alle anderen gibt es psychologischen Beistand.

Eure Reaktion ist genauso legitim wie die von Max Sprick und jedem anderen, der einfach mit den Schultern zuckt.

 

Veröffentlicht am 23. April 2016, in Ärgerliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 4 Kommentare.

  1. Hmmm…

    Was ist denn das für eine komische Postille? Na ja – das spielt hier ja nur eine untergeordnete Rolle.
    In vielen Dingen, die Du geschrieben hast, gebe ich Dir recht. Aber erhellend (wenn auch unbeabsichtigt), ist das Geschreibsel schon.
    Ganz abgesehen von der offensichtlichen Interessenlosigkeit des Autors am Thema, seinem grottenschlechten Stil, der Zweifel an seiner Altersangabe »Ende Zwanzig« aufkommen läßt und seiner offen herausposaunten Ahnungslosigkeit…

    Spricks Artikel verrät ungewollt Gründe, warum diese Todesfälle für viele Menschen eine so große Bedeutung haben. Unabhängig von der Medienhysterie, die in Zeiten des Internets sicher eine andere ist als zum Zeitpunkt von Hendrix oder Joplins Ableben, spüren die meisten Menschen ganz genau, was dort verloren geht. Unwiederbringlich, was sich in gewisser Hinsicht gar nicht an einer »absoluten Bedeutung« des Verstorbenen festmacht; da steht dann z.B. auch Jack Bruce für einige neben Prince.
    Es ist die Trauer um den Verlust einer bestimmte Kultur, die sich in der Lebenserfahrung älterer im Zusammenhang mit Musik anders definiert als bei der jetzigen Generation. Und die geht tatsächlich ersatzlos verloren. Weil das eben so ist! – über die Gründe kann man gerne lamentieren; es ändert nichts am Sachverhalt.

    Neu ist das alles nicht und es kam auch nicht als schleichender Prozeß. Es war eigentlich ein recht harter Schnitt, der seinen Anfang mit dem Aufkommen von digitalen Datenträgern nahm. Es dauerte auch nicht zwanzig Jahre, nicht einmal zehn. Das ging sehr schnell und jeder, der den Musikmarkt damals beobachtete oder in ihn involviert war, spürte das sehr schnell. Als die Neue Deutsche Welle ihr Begräbnis dritter Klasse im engen Familienkreis bekam, war der Vorgang abgeschlossen. Es war der letzte Versuch der Musikindustrie, den »alten« Markt noch einmal wiederzubeleben.

    Und von da an war alles anders. Es wurden keine Schallplatten (lies: Bands) mehr verkauft, sondern Playlists, nur daß man sie damals noch nicht so nannte. Im Grunde verkaufte man den Kids dasselbe, was die sich vorher auf dem Schulhof selbst zusammenraubmordkopiert hatten. Sprick stellt dann ja auch nüchtern fest, daß sich das Prinzip etabliert hat.
    Natürlich versteht so einer nicht die Bedeutung von Jimi Hendrix – wie sollte er? Es ist auch die Bedeutung von Zusammenhängen unterschiedlicher Musiker zueinander und zu ihrem Publikum. Der Marktwert von Zusammenhängen liegt derzeit in Größenordnung der Zinsen von Krediten.

    Die Trauer hat also einen Grund. Ob sie deswegen von allen geteilt werden muß, ist natürlich eine andere Sache. Dieses Zeitalter des Recyclings und der Mülltrennung zeichnet sich ja vorrangig dadurch aus, daß alle abgelaufenen Waren- und Kulturgüter möglichst schnell den Weg in die (gekennzeichnete) Tonne finden.
    Haltbarkeitsdatum siehe Bodenprägung.

    Es bleibt aber ein Mißverständnis übrig, das sich darin äußert, daß auch die neue Generation wenigstens ahnt, daß Musik mehr sein kann als die andere Erscheinungs-Form einer 75$ Digital-Kamera oder ein Satz Alu-Felgen. Die Wiederauflage des Gedanken »Was ist da mehr?« steht nicht oben auf der Agenda der Musik- oder sonstiger Industrien.
    Von daher wird sich der Hype um den Tod der letzten Heroen mit ihrem Verschwinden von selbst erledigen.

    • Ich sehe das gerne positiver. Die Kultur, die Prince und Bowie geprägt haben, ist jetzt Teil der Geschichte. Sie ist nicht mehr lebendig, weil die, die sie trugen, nicht mehr da sind.

      Aber wenn altes geht kommt auch Neues. Die Musikindustrie mag ja versuchen, alles auf Playlists zu reduzieren, Künstler wie Lindsey Stirling, Peter Hollens, Piano Guys, Dexter Britain, Hang Massive – sie alle sind unterschiedlich, sie alle haben ihre einzigartige Ausprägung und sie sind alle eher nicht Teil „der Industrie“ – sie sind via Youtube erfolgreich geworden, weil sie Musik gemacht haben, die die Leute mögen.

      Vielleicht ist das der künftige Schulhof des Internets: Youtube und sein Nachfolger, der irgendwann kommen wird. Denn genauso wie AOL wird auch Youtube und Facebook verschwinden und durch etwas anderes ersetzt werden.

      Nichts ist für immer. Nichts für ewig.

      Das Rad wird vielleicht nicht immer neu erfunden – aber man kann es durchaus neu designen 😉

  2. Auch die, die nicht mehr hier unten Musik machen gibt es noch, sie wirken weiter, davon bin bin ich fest überzeugt, und zwar vermutlich noch eine ganze lange Weile und zwar gerade durch das Netz und Youtube, wo ich viel öfter an sie erinnert werden als durch die paar Hundert schwarzen Scheiben und CDs, von denen die meisten seit Jahren ungehört verstauben. George harrison, seit langem tot, ist mir auf Youtube wieder über den Weg gelaufen, und erst dadurch hab ich mich erinnert, dass sein uraltes 3er-Album All Things Msut Pass mein erst eigenes Vinyl war, undso geht es mir mit vielen, die längst abgetreten sind, inzwischen ist sogar einer dabei, der schon nicht mehr am Leben war, als ich ’75 seine LP erwarb, und der mir heute näher ist als damals.

  3. Moin Tante

    Also eines noch als Ergänzung: Das sollte natürlich keinesfalls heißen, daß es qualitativ keine Nachfolger für die Heroen von einst gibt! Das zu behaupten wäre absoluter Blödsinn.

    »Teil der Industrie«: Youtube ist ein Teil der Industrie. Da hat sich nur eine Möglichkeit der Vermarktung vom einen auf den anderen Teil verlagert; mit anderen Geschäftsbedingungen und dadurch unterschiedlichen Strukturen des Geldflusses. Ich bekomme allerdings immer Schluckauf, wenn Youtube so dargestellt wird, als handele es sich um eine Art Indie-Label, was genau so für jede andere Art von Streaming-Diensten gilt.

    Zum Arm der Industrie gehören nebenbei auch die Produktionsmethoden, mit denen heute Musik gemacht wird. Denn zum Stichwort »digitaler Datenträger« gehören auch die digitalen Produktionsmethoden, die es ermöglichen, mindestens die Vorproduktion (wenn nicht das komplette Produkt) in Eigenregie zu erstellen. Allein das ist ein rigoroser Bruch mit traditionellen Produktionsmethoden, auch in der Freiheit dessen was im Sinne künstlerischer Freiheit realisiert werden kann. Im Guten wie im Schlechten verändert schon das die Erscheinungsform, in der Musik wahrgenommen wird.

    Natürlich ist das Rad nicht neu erfunden worden – man hat ihm nur Alu-Felgen verpaßt.

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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