Freiheit statt Angst – eine Review


Das war sie also, die erste Demonstration in meinem Leben. Auch und vielleicht gerade deshalb bin ich aber mit völlig anderen Erwartungen an die Demonstration gegangen. Nämlich mit gar keiner. Ich wollte sehen, wie so etwas abläuft.

Und ich bin überrascht worden. Positiv.

Ich bin nicht gut, wenn es um Menschenmengen geht. Viele Leute lassen mich die Kontrolle um mein Umfeld verlieren und ich bin dann sehr schnell ziemlich gestresst. Auch aus dem Grunde haben mein treuer Rucksack und ich uns eher an der anderen Seite der Bühne aufgehalten. Nebenbei gabs hier ein paar Bänke und eine kleine „Fressmeile“.

Ich habe einen guten Freund noch aufgegabelt im Laufe des Tages und außerdem daMax, Flatter und einen Fotografen, dessen Kamera ich gerne hätte und der tatsächlich Pommes mit Chili/Cheese gegessen hatte und gebratene Champignons mit Salatsauce. Mann. DEN Magen hätte ich gerne. Andererseits: Ist vielleicht besser so. 😉

Padeluun hat das Programm dann begonnen und predigte die bürokratischen Randbedingungen. Das war auch wirklich witzig gemacht und Ziel war erreicht, die Stimmung war gut.

Es folgten die Reden von padeluun und diverser Aktivisten. Eine hat für mich da eindeutig hervorgestochen: Annalist. Leidenschaftlich, fundiert, pointiert und fuchsteufelswild – SO hält man Reden. Man liest sie nicht vom Blatt ab, wie einige es leider getan haben und so die Leute einschläferten.

Annalist hat mit ihrem Auftritt mit einem Schlag gezeigt, WARUM der ganze Überwachungswahnsinn ein Wahnsinn ist. Warum wir uns empören sollen und müssen.

Warum der Kaiser nackt ist.

Lesen und gucken.

Wer noch herausgestochen hatte, war für mich padeluun. Die gleiche Leidenschaft, er weiß wie man mit Menschenmengen auf der Bühne umgeht. Wie man sie polarisiert. Und er nutzt das um die Botschaft zu transportieren:

Hört auf mit der Überwachung, ihr zerstört gerade das, was ihr zu schützen vorgebt.

Ich war zu weit weg, um zu sehen, ob das nur ein Gag von Padeluun war oder ob Herr Pofalla tatsächlich wahlkampfwirksam vor der Bühne stand und einen Zehner gespendet hat. Wenn jemand ein Video von padeluun findet, verlinke ich das hier gerne.

Jake Applebaum hat inhaltlich eine sehr gute Rede gehalten, sie war amerikanisch geschliffen. Sein Problem war die Übersetzung, bei der naturgemäß viel verlorenging. Der Dolmetscher war richtig gut, aber er hatte das Problem jedes Dolmetschers. Wenn du in der Geschwindigkeit übersetzen musst, kannst du nicht mehr den Text nicht mehr pointieren. Er hat es versucht, aber das hat einfach Grenzen. Hörts euch an – es lohnt sich.

Ich habe inzwischen viele Einträge gefunden, die sich enttäuscht gezeigt haben. Weil eben nicht 100.000 Leute auf der Straße waren sondern nur zwischen 8.000 und 12.500 bzw. 20.000. Und dass das nicht ausreichen würde, ein Zeichen zu setzen.

Ich sehe das anders. Mal wieder, wie so oft.

Was mir zum Beispiel sehr aufgefallen ist, ist die Zusammensetzung der Demonstrationsteilnehmer. Die war erheblich wichtiger als die reine Zahl. Auch darf man Zahlen nicht wirklich überbewerten. Die verschiedenen Parteien bei so einer Demonstration geben immer stark unterschiedliche Zahlen heraus. Die einen wollen möglichst viel sehen, die anderen möglichst wenig und in der Mitte befindet sich die einigermaßen gesicherte Zahl. Die Presse weiß das und spielt mit den unterschiedlichen Zahlenangaben, und je nach Artikel-Intention sinds dann mal weniger, mal mehr. Ich habe diese Zahlenangaben gar nicht mal so hoch gehängt.

Doch diese „wenigen“ Menschen zogen sich durch alle Altersklassen und durch alle Gesellschaftsschichten. Ich habe dort Leute gesehen mit Guy Fawkes-Masken und deutlich über 70. Ich habe jung neben alt und reich neben arm protestieren sehen. Edward Snowdens Enthüllungen haben geschafft, was viele seit langem in Deutschland vermissen: Eine weiträumige Solidarisierung und die Erkenntnis, dass wir von diesen Überwachungsszenarien alle gleichermaßen betroffen sind.

Die Algorithmen unterscheiden nicht nach Einkommen. Sie machen alle Menschen gleich und sie sind in dieser Gleichmacherei sozialistischer als es selbst der härteste Stalinist je sein könnte. Welch Ironie, dass es die Post-McCarthy-Staaten sind, vor deren allsehendem Auge alle gleich sind.

Die Menschen begreifen diesen Teil instinktiv. Doch das andere begreifen, dass es wirklich *jeden* von uns trifft, dass bei jedem Kommunikationsvorgang ein unsichtbares Drittes Ohr und Auge vorhanden ist, das ist noch nicht bei der breiten Bevölkerung angekommen. Und es ist auch nicht angekommen, dass das mit sehr realen Gefahren verbunden ist.

Die Zeit, das zu begreifen, war viel zu kurz. Viele Menschen sind ja nach wie vor damit überfordert, „das Internet“ selbst zu begreifen, zu verstehen, wann man auf der eigenen Maschine arbeitet und wann „im Internet“.

Wie kann man von Menschen, die die Bedeutung der heutigen vernetzten Kommunikation nicht begriffen haben, nicht begreifen können, weil das alles zu abstrakt ist, wie kann man von diesen Menschen erwarten, dass sie für eine Freiheit auf die Straße gehen, von der sie noch nicht mal wissen, dass sie sie einmal hatten?

Damit überfordert man sich und vor allem auch die Leute von der Digitalen Courage. Sie können diese Aufklärungsarbeit nicht alleine leisten. Wir alle sind gefragt, die die Probleme zumindest ansatzweise verstehen. Die Digitale Courage kann uns das Material in die Hände geben – verteilen müssen wir es.

Jeder einzelne von uns muss die Überzeugungsarbeit im kleinen leisten. Erklären, was notwendig ist. Erklären, was noch sicher ist – Panikattacken wie die Kryptokalypse entkräften. Alarmismus hilft keinem (Notiz an mich selbst: Bitte beachten).

Aufklärung hingegen schon. Jeder Mensch, den ihr aufgeklärt habt, dem ihr beigebracht habt, wie man die eigenen Daten ordentlich vor Fremdzugriff sichert, ist einer mehr, dessen Daten nicht Freiwild auf den Geheimdienstservern sind. Und es ist einer mehr, der andere aufklären kann. Aber das braucht Zeit. Zeit, die die FSA13 nicht hatte.

Die FSA13 konnte (noch) nicht die Massen in Bewegung setzen, wie sie es vielleicht nächstes Jahr kann. Die Zeit war zu kurz, die Vorwürfe und das Verhalten der Bundesregierung zu ungeheuerlich als das man es in seinem vollen Ausmaß begreifen kann. Und es braucht noch mehr Berichte wie die, dass man Polizeibesuch wegen einem Tweet bekommt und den dann löschen muss. Oder dass man einen Spaziergang nur noch unter Polizeibegleitung machen kann, weil er zufällig zum Dagger Complex geht.

Das sind die ersten Auswirkungen, die den Leuten zeigen: „Das Netz“ ist nicht nur virtuell. „Das Netz“ ist real. Die Überwachung hier ist real und hat reale Auswirkungen. Das muss thematisiert werden, das muss gezeigt werden.

Man kann sich jetzt über Routen und Zahlen streiten bis man schwarz wird. Oder man drückt die Schultern durch, zieht das Kinn hoch, schiebt die Mütze in die Stirn und marschiert weiter.

Denn jetzt aufgeben bedeutet auch, dass man die Geheimdienste ungehindert weitermachen läßt.

Und die Option ist keine. Kann keine sein.

Veröffentlicht am 9. September 2013, in Innenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Hinterlasse einen Kommentar.

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