Radikale Kehrtwende


Ich schlage ja recht gerne auf die Kirchen ein. Vor allem auf die katholische. Zu verkrustet die Strukturen, alte Männer, die völlig andere Dinge im Sinn haben als ihre Schäfchen. Stures Pack, dass nur noch das eigene Säckel im Sinn hat, nicht jedoch die Seelsorge, die sie einst leisten wollten.

Tja. Und dann kam Benedikt. Der dem ganzen die Krone aufgesetzt hat. Papst Benedikt, der Scholar, der Gelehrte, der die „reine Lehre“ eines 2000 Jahre alten Buches vertreten wollte und dabei übersehen hat, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat.

Papst Benedikt, dem der Vatikan auf der Nase rumtanzte mit Kardinälen, die machten, was sie wollten. Und während Papst Benedikt den Schulterschluß mit den extrem konservativen vollzog, wie der Pius-Bruderschaft und allmählich die Errungenschaften des 2. Vatikanischen Konzils Stück für Stück zurückgefahren hat, türmte sich weltweit ein Skandal auf den anderen. Nein, die Bilanz von Benedikt ist keine Gute. Er trat zurück, machte Platz für jemand anderen. Weil er erkannt hatte, dass er zu schwach war. Weil er (meines Erachtens) auch zu angreif- und erpressbar war. Die Skandale in Regensburg um seinen Bruder und auch in seiner eigene Diözese haben ihn nachhaltig beschädigt.

Gekommen ist Papst Franziskus. Er wurde gewählt und regiert die katholische Welt von seinem Gästezimmer heraus. Er fühlt sich laut eigenem Bekunden nicht wohl in der luxuiösen Umgebung der Papstwohnung. Das allein war schon mal eine Neuerung.

Und dann monatelang nichts. Hier eine kleine Personalneuerung, aber aus den verschlossenen Türen des Vatikans drang nichts heraus.

Wir reden hier von der katholischen Kirche, die unter Benedikt reif war für den moralischen Offenbarungseid. Wir reden von der katholischen Kirche, die Geld über die so viel beschworenen Seelen gestellt hat.

Eine erste Vorahnung über die neue moralische Instanz, die er verkörpern will hat er gegeben, als er das schnelle Vorpreschen der USA bezüglich eines Raketenschlages in Syrien massiv verurteilt hat. Der Papst der dort sprach war nicht schwach oder vergeistigt. Der war hellwach und sich seiner Verantwortung voll bewußt.

Und jetzt das Interview, dass eine Zäsur in der vatikanischen Politik darstellt. Es ist nicht der ganz große Wurf, aber den kann jetzt keiner erwarten. Was Franziskus aber bereits jetzt geleistet hat, kann ihm keiner mehr nehmen, selbst wenn er jetzt plötzlich eine Fischgräte falsch im Hals stecken hat. Und ich gestehe, ich hätte das nie in der Form erwartet.

Homosexuelle bekommen die Anerkennung der Kirche. Franziskus hat anerkannt, dass es kein Lebensstil ist, den man frei wählt, sondern das man so geboren wurde. Das alleine ist ein so großer Schritt der unendlich viel Druck von den betroffenen Katholiken wegnimmt, dass man ihm alleine dafür Respekt zollen muss. Das Eherecht kommt nicht. Aber nach den Aussagen, die Franziskus da gemacht hat halte ich es für möglich, dass er das zumindest persönlich in Erwägung zieht, aber auch sieht, dass das derzeit auch für ihn nicht durchsetzbar ist.

Er will Frauen in Führungspositionen, Frauen als Entscheider, nicht mehr nur als Zuträger. Das ist ein radikaler Schnitt mit der bisherigen Frauenpolitik des Vatikans. Genauso wie die Schwulenehe ist auch die Priesterweihe von Frauen derzeit nicht durchsetzbar, aber es ist ein Anfang.

Und last but not least hat er die Bischöfe ermahnt, sich nicht zu sehr auf die Abtreibung zu fixieren. Er hatte dabei möglicherweise die Tragödien im Hinterkopf, wo kleine Kinder nach einem Missbrauch schwanger wurden, sie noch zu klein waren, um das Kind auszutragen und dann entweder starben oder nach der (notwendigen) Abtreibung exkommuniziert wurden.

Seine Haltung in Sachen Abtreibung ist eine schallende Ohrfeige für die herzlosen Männer, die diese Kinder verurteilt haben.

Papst Franziskus arbeitet langsam. Er muss das tun, denn wenn dieses Vermächtnis der erneuerten Kirche nicht mit ihm sterben soll, muss er die reaktionären Kräfte, die mit Christentum nur Macht und Reichtum verbinden, kaltstellen. Er muss die Idealisten wieder erstarken lassen und die desillusionierten alten Männer auf das Abstellgleis schieben.

Die Kraft dazu hat er. Das hat er jetzt bewiesen. Die Weitsicht hat er auch. Auch das hat er bewiesen.

Dann wünschen wir ihm doch mal mindestens 20 lange Jahre, in denen er die ganzen Erzreaktionäre schön schurigeln kann.

Und ich wünsche mir, dass er endlich mal was zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche sagt. Die Menschen, die unter diesen Priestern und Nonnen gelitten haben, haben das verdient.

Aber Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut.

 

Veröffentlicht am 20. September 2013, in Religiöses. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 7 Kommentare.

  1. Und so ganz plötzlich und zufällig stirbt er noch vor Jahresende an einem Herzinfarkt.
    Aber keine Sorge. Schon wenige Tage später wird ein neuer Papst gewählt. Der vertrocknetste, ignorate, alte, erzkonservative Knochen den die Welt je gesehen hat.

    Wäre schade, da Franziskus doch einen ganz sympatischen Eindruck macht. Aber fände ich auch nicht ganz abwägig.

    • Ich glaube, das weiß Franziskus – der kennt den Laden ja. Und daher finde ich seine Vorgehensweise so bemerkenswert. Stück für Stück hat er die alten Seilschaften bereits getauscht und die bisherigen „Würden“träger ins Abseits gestellt, bevor er das Interview gegeben hat.

      Könnte klappen.

  2. Ehrlich an eine Kehrtwende glaube ich erst wenn da eine ganze menge mehr kommt. Sich nur einen modernisierten Anstrich geben kann praktisch jede Organisation.

    Vielleicht wiegt die Enttäuschung über Obama noch zu schwer aber im Moment bin ich Skeptisch gegenüber solchen Lichtgestalten.

    • Bei der katholischen Kirche kommt es auf die kleinen Gesten an – auf die Zwischentöne. Das Spiel beherrschen alle Kirchenfürsten meisterhaft und Franziskus ist da keine Ausnahme.

      Ich sehe ihn auch nicht als Lichtgestalt. Es gibt durchaus Punkte bei Franziskus, die diskussionsfähig sind (sein Exorzismus z.b.). Aber grundsätzlich sieht er den Menschen und das ist nach dem kaltherzigen Benedikt ein echter Fortschritt.

      Franziskus ist Jesuit – und die waren eigentlich schon immer für eine Überraschung gut.

      • In der Tat noch keine Lichtgestalt, wird er hoffentlich auch nicht, Lichgestalten machen mich immer skeptisch.

        Und ja Jesuiten sind für Überraschungen gut, Jesuiten waren, wie auch Angehörige praktisch aller anderen Orden, auch für die ein oder andere Schweinerei verantwortlich, aber es gibt eben auch immer wieder welche, die moralische Instanzen werden und sich auch gern mal gegen das offizielle Rom stellen, und die jede Menge Respsekt verdienen, und ich (Nichtkatholik) meine, es sind gefühlt mehr als bei den anderen.

        Meinen Respekt hatte vor schon recht langer Zeit dieser Jesuit http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Lassalle
        Nich in allem konnte und kann ich mit ihm übereinstimmen, aber das muss man ja auch nicht, um trotzdem Respekt zu empfinden.

  3. Mich überrascht der Papst derzeit auch immer mal wieder positiv; dennoch halte ich die Institution katholische Kirche für *piieep* 😉

  4. Das Kernproblem bei Papstens ist immer wieder das gleiche: es hängt an einer Einzelpersönlichkeit. Ein „guter“ Papst war beispielsweise auch Johannes23; aber danach kam halt der nächste mit eigener höchstpersönlicher Agenda.

    Nachhaltig ist wäre es erst dann, wenn die Katholische Kirche sich von der militärischen Befehls-Gehorsams-Kette löst.

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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