Technik statt Menschlichkeit


Der gesamte Überwachungswahn, Prism, Tempora, XKeyscore, die Zunahme von immer mehr übergeordneten „Sicherheits“behörden, die technisch auf das machbare hochgerüstet werden.

Hat sich mal einer überlegt, warum das so ist?

Automatisierung war für eine Reihe von Kostenersparnissen verantwortlich. Die ersten Autos, die noch in voller Handarbeit gefertigt wurden, waren teuer. Erst die Automatisierung machte aus dem Auto eine Massenware, ohne die die meisten heute nicht mehr leben könnten.

Das gleiche gilt eigentlich für jedes Produkt, dass wir im Haushalt haben. Geschirrspüler, Waschmaschine (Waschbrett anyone? Waschtage mit Waschkessel und Zuber? Ich kenn das noch und auch die elende Plackerei), Wäschetrockner, der es erlaubt, Wäsche, die früher an einem Tag von frühmorgens bis abends gewaschen wurde (und dann oft in die Sonne zum Bleichen gelegt wurde), in wenigen Stunden komplett wieder sauber im Schrank zu haben.

Doch es gab immer ein Bereich, wo die Automatisierung nur schleichend Einzug hielt. Und zwar bei dem, was im Friedrich-Deutsch das „Supergrundrecht“ ist: Der Sicherheit.

Sicher, man hat Computer angeschafft und so. Aber die Digitalisierung des Polizeifunks? Mäh. Die Länder können sich nicht auf einen Standard einigen. Die einen wollen A, die anderen B und wieder andere wollen X. Ich muss nicht erwähnen, dass A, B und X nicht miteinander kompatibel sind, richtig? Die Gründe dafür lass ich jetzt mal hintangestellt, das war nur ein Beispiel.

In den letzten Jahren jedoch hielt die Technik mit Macht Einzug in die Amtsstuben der Sicherheitsbehörden. Allerdings streng klassifiziert. Die Leute, die die „Basisarbeit“ machen, also die Drecksarbeit vor Ort, werden oft mit minderwertiger Ware ausgestattet, schnell eingekaufter Klitschen, die dann funktionieren müssen, bis sie auseinanderfallen und die aus Kostengründen oft auch dann noch repariert werden, wenn der gesunde Menschenverstand sagt: Tausch aus.

Erklärung für Nichtbeamte:
Das liegt am Haushaltsrecht. Ich mach das mal an einem Beispiel auf. Ich hatte einen alten PC mit durchgebranntem Mainboard. Das war im Februar eines Jahres. Der Haushalt für das laufende Jahr war nicht genehmigt, ich durfte nur unabweisbare Ausgaben aus dem Verwaltungshaushalt tätigen, der Vermögenshaushalt durfte nicht angetastet werden. Der PC war 7 Jahre alt, wirtschaftlicher Totalschaden, es waren Elkos auf dem Board durch. Ein neuer PC hätte aus dem Vermögenshaushalt bezahlt werden müssen. Durfte ich nicht ran.  Die Schule hat den PC aber gebraucht. => Reparatur.

Kosten für die Reparatur: knapp 320 Euro. Kosten für einen neuen PC: Unter 200 Euro, das war ein Büro-PC für 3 Stunden wöchentliche Nutzung, da hab ich keine Markenkiste hingestellt und ne Lizenz hatte ich ja noch. Mehrkosten durch „Einsparung“: 120 Euro.

Nur mal zur Erklärung, wie man sich kaputtsparen kann.

Erklärung Ende.

Hingegen leben die Kollegen in den Bundesbehörden in einem „Wünsch-dir-was“-Paradies. Was immer sie an neuen Technikspielereien haben wollen oder an Lizenzen, Zugriffen: Sie bekommen es. Und über diese Schiene bekommen die Landesverfassungsschützer ebenso das, was sie gerne hätten. Nach Sinn oder Unsinn fragt keiner. Es dient der Sicherheit, also ist alles gerechtfertigt.

Aber eins haben alle Behörden gemein: Mehr Personal, was ebenfalls dringend notwendig wäre, zumindest soweit es die Landesbehörden für die reguläre Polizeiarbeit betrifft, gibt es nicht.

Und so haben wir schizophrene Strukturen und vor allem falsch gewichtete. Die Streifen vor Ort sind abgeschafft. Es gibt Bereiche, die sehen wochenlang keinen Streifenwagen. Das wird eingespart, denn Polizei auf Streife kostet Geld. Doch gerade die Streifen vor Ort garantieren die Sicherheit viel stärker als es jede Software oder Kamera tut.

Im Gegensatz dazu werden die Behörden, die das große Potenzial haben, unsere Restdemokratie völlig zu zerstören, nämlich die Verfassungsschutzbehörden, ausgebaut. Es wird auf flächendeckende Kameras gesetzt, die alle Bereiche des Lebens aufnehmen sollen. Es steckt dahinter der Gedanke, dass in einer flächendeckenden Überwachung niemand mehr wagen würde, ein Verbrechen zu begehen.

Doch die Welt hat Ecken und Kanten. Und es wird immer Ecken geben, schattige Plätzchen, wo eine Kamera nicht hingucken kann. Kameras können sich nicht verteidigen, sie können kaputtgemacht werden, die Kabel, die sie mit der Zentrale verbinden, können gekappt werden. Und wenn in der Zentrale der einsame Hansel gerade nicht hinguckt, kann man auch problemlos vor laufender Kamera ein Verbrechen begehen und niemand wird es sehen oder Hilfe schicken – welche Hilfe denn auch? Die Streifen, die man hinschicken *könnte* sind ja nicht mehr da, eingespart aus Kostengründen.

Kennt jemand das Opfer eines Einbruchs in letzter Zeit und hat sich die Stories mit der Polizei mal angehört? Nett, oder?

Und so gibt es Stadtviertel in den Großstädten, die inzwischen fest in der Hand von Banden sind, wo sich die Polizei nicht mehr hintraut, weil sie nicht weiß, ob sie da wieder lebend rauskommt. Und nein, dass sind nicht immer Ausländer. Newsflash: Es gibt auch kriminelle Deutsche.

Es gibt auf dem Land Reaktionszeiten für die Polizei, die jenseits von Gut und Böse sind. Wenn man früher eine überlaute Party locker mit einem Anruf nachts um zwei beenden konnte, wird heute niemand mehr rauskommen. Es sei denn, der genervte Nachbar versucht die alkoholisierte Party auf eigenes Zutun zu beenden und bekommt dann ordentlich aufs Maul. Im Krankenhaus wird dann sicher jemand vorbeikommen und die Anzeige aufnehmen.

Gleichzeitig werden aber die Straftatbestände immer weiter in die Planung verlegt. Es galt einmal der Grundsatz, dass erst eine ausgeführte Tat strafbar ist. Man konnte also ruhig einen Bombenanschlag planen: Solange ihn keiner ausgeführt hat, wars nicht strafbar.

Das ist inzwischen nicht mehr so. Siehe Sauerland-Gruppe.

Es galt auch mal der Grundsatz, dass keiner durch Strafverfolgungsbehörden zu einer Straftat angestiftet werden durfte.

Das ist inzwischen nicht mehr so. Siehe V-Leute, siehe Sauerland-Gruppe, siehe…. (ihr könnt die Liste selbst vervollständigen).

Wir haben also eine Verringerung der tatsächlichen Sicherheit für jeden Bürger durch die systematische Unterfinanzierung aller Landespolizeibehörden. Und gleichzeitig haben wir eine Verringerung der systemischen Sicherheit durch den Ausbau von Behörden, die die tatsächlichen Bedrohungen völlig ignorieren.

Unser Bundesinnenfriedrich versucht mit Macht einen Bombenanschlag zu verhindern, den offenbar eh niemand plant. Aber gleichzeitig möchte er Verbrechen durch eine vollständige Überwachung verhindern. Der Gedanke: Wenn jeder zu jeder Zeit überwacht ist, wird er kein Verbrechen mehr begehen, weil er weiß, dass er erwischt wird. Eine Lücke gibt es nicht.

Gleichzeitig kann man so Personal einsparen und Kosten senken. Denn Technik kostet weniger als die menschliche Arbeitskraft.

Win-Win?

Möglicherweise. Das Problem ist, dass Friedrich mit seinen Überlegungen ja durchaus Recht hat. Auf die Art und Weise *kann* man tatsächlich Verbrechen nahe gegen Null setzen. Das Problem ist nur, dass dann auch ständig neu definiert werden wird, was ein Verbrechen ist. Schon jetzt sieht man, dass viele Dinge heute strafbar sind, wo man früher den Kopf geschüttelt hätte.

Ich zitiere an dieser Stelle mal Frank Herbert aus einer seiner kürzeren Geschichten:

„In einem vollkommen stillen Raum wird das Fallen einer Nadel zur Gewalt“

Und ich möchte in einer Welt, wo die Automatisierung sich selbst in diesem Bereich bis zum Exzess durchgesetzt hat, nicht leben.

Denn „Leben“ kann man das existieren in so einem Staat nicht nennen.

Veröffentlicht am 10. Oktober 2013, in Innenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 8 Kommentare.

  1. Und natürlich kann man durch Personaleinsparung/Gründliche bzw totale Überwachung die Verbrechensanzahl verringern. Wenn nämlich keiner mehr da ist der die Anzeigen/Meldungen auch aufnimmt, dann kann man das eben total verringern.

    „Seitdem wir keine Streifenpolizisten mehr rumschicken und eine Kamera haben, werden viel weniger Straftaten gemeldet.
    ???
    Erfolg!“

    Anderswo liegen die (Statistik-) Probleme umgekehrt: Wenn es nicht genug Verbrechen oder Vergehen gibt, die in die Statistik eingehen, dann sind die Polizisten und deren Budget ja nutzlos und können eingestampft werden. Daher dann sollche Dinger wie Stop and Frisk und Jaywalking und dergleichen.

  2. Menschen haben eventuell Gewissensbisse, Maschinen nicht!
    Menschen lassen mal was durchgehen, Maschinen nicht!
    Menschen können was übersehen, Maschinen nicht!

    • Falsch. Maschinen übersehen alles, worauf sie nicht programmiert sind. Maschinen funktionieren nach einem Einbahnstraßenprinzip.

      Menschen nicht.

      • Oh, das wird technisch – ich versuche das mal abzuschwächen. Dafür ist es leider länger…

        Computer als deterministische Systeme? Auch das stimmt nicht so genau. Algorithmen wie die Googles Datamining haben gar nicht die Aufgabe absolut exakt zu sein. Lernende Systeme sind rückgekoppelt und deren (nicht lineares) Verhalten kann unvorhersehbar werden. Erfolgt die Rückkoppelung auch über die Gesellschaft, das geschieht weil das System zur Verbrechensbekämpfung zunächst erfolgreich ist, dann dürfte der Versuch ziemlich verantwortungslos sein. Denn die Polizei, Politik und sogar wir selbst glauben an die Exaktheit der Computer und der Technik. Wir glauben daran fast religiös. Wir glauben, weil wir nicht verstehen.

        Je „besser“ die Technik, je mehr sie genutzt wird, um so fehleranfälliger, chaotischer und menschlich fragwürdiger wird eine in soziale Strukturen eingreifende Technik selbst. Wirklich niemand wird mehr die Maschinenentscheidung manuell nachvollziehen können. Auch ein unabhängiger Computer nicht! Niemand kann die Folgen abschätzen oder die plötzlich auftretenden Fehler verstehen. Diese Technik beweist irgendwann ihre eigene Schädlichkeit. Es existieren unvermeidbare und lange bewiesene mathematische Eigenschaften komplexer Systeme. Nur für den Fall, dass wir selbst Maschinen sind, haben wir es nicht besser verdient.

        Eine meiner älteren(!) Geschichten beschreibt ein Interview mit einem (ziemlich dummen) Verbrecher, der von den Systemen und Datenbanken, wie wir sie heute haben, extrem profitiert – ganz ohne sie „hacken“ zu müssen. Er ist regelrecht frustriert darüber, dass Geheimdienste und Polizei nicht so einfach Daten tauschen dürfen und die VDS, die Terrordatenbanken, Gendatenbanken und so weiter noch lange diskutiert wird. Je mehr Grundrechte eingeschränkt werden, um so besser für ihn.

        Darüber sollte man mal nachdenken. Ob Freiheit, Grundrechte tatsächlich im Gegensatz zur Sicherheit stehen. Oder ob sie nicht etwa einander bedingen.

  3. ein anderer Stefan

    Menschen können vor allem abwägen, auf Erfahrungen zurückgreifen, auf ihre Intuition hören – zwischenmenschliches eben. Das können Maschinen nicht – und ich hoffe, dass sie es auch niemals können werden.

    Einbrüche? Wir hatten binnen eines Jahres fünf im Keller, wohl weil hier Bauarbeiten im Haus sind (ja, seit einem Jahr – großer Spaß). Einmal fand ich einige meiner Sachen zufällig bei einem Laden wieder, deren Besitzerin ich gut kenne. Die hätte von dem Typen ne Beschreibung und wahrscheinlich sogar ne Unterschrift auf der Quittung gehabt. Ermitteln? Wozu? Da kommen nach nem halben Jahr die Standardschreiben „konnte nicht ermittelt werden ..bla bla … eingestellt … bla bla.“ Angezeigt hat es jeweils der Vermieter, ich weiss nicht, ob das überhaupt Sinn macht. Die Polizei ermittelt ungefähr so: „Wo brennt es heute? Körperverletzung? Da müssen wir mal schauen. Ach, hier kommt ein schwerer Unfall mit Verletzten rein – der hat Vorrang. Kellereinbruch? Bischen Zeugs geklaut? Nicht so wichtig, haben wir kein Personal für.“ Das nennt sich dann im Fachdeutsch Ermittlung nach Tageslage oder so ähnlich. Eine Innenstadtwache haben sie gerade rausverlegt, da kommt man jetzt nur noch mit dem Auto richtig gut hin, oder mit nem längeren Fußmarsch. Begründung: Da ist noch mehr Polizei im gleichen Gebäude, da war noch Platz und wir sparen Geld. Danke, liebe schwarz-gelde Landesregierung – da fühl ich mich doch gleich viel sicherer, bei so einer gut ausgestatteten, motivierten und erreichbaren Polizei. Fußstreifen gibts ja schon lange nicht mehr, und eh die Polizei in den chronisch verstopften Innenstädten mit dem Auto irgendwo ankommt, ist es auch schon egal. Den Verfassungsschutz würden wir kaum brauchen, wenn an der Basis anständige Polizeiarbeit geleistet werden könnte.

  4. Maschinen übersehen nichts (vorauf sie programmiert sind) – so besser?

    Fakt ist, dass alles was irgendwie anrüchig erscheint, worüber man früher höchstens die Nase gerümpft hätte, heute gleich den Strafbestand der „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ und ähnliches erfüllt (scheinbar erfüllt) – in jedem Falle wird dann erstmal zugeschlagen und hinterher, wenn sich heruastsellt, dass da bloß einer nen Roman schreibt oder n Drehbuch, heißts dann, es war Gefahr im Verzuge und man habe auf Grund der Gefahrenanalyse sofort mit äußerster Härte eingreifen müssen – weil: Ist ja alles automatisch.
    BTW: Es gibt n Buch von Mark Brandis, welches dieses Thema abhandelt:
    http://www.markbrandis.wurzeldiener.net/index.php/Band09:Salomon_76

    Auch zur Totalen Überwachung hat der Mann sich mal Gedanken gemacht:
    Bordbuch Delta VII, Verrat auf der Venus, Unternehmen Delphin und Aufstand der Roboter (welche alle zusammengehören).

    😀

  5. Zumindestens bei der Bahn rechnet sich die Überwachung nicht mehr – es werden jetzt an die Millionen für Drohnen ausgegeben, um solche schweren „Verbrechen“ wie Grafiti und Kabeldiebstahl aufzuklären. Diese verursachen einen Schaden von ein paar 10000 Euro. Von der Tatsache abgesehen, dass die Drohnen nachts nichts bzw. nur eingeschränkt sehen können, bei Wind und Wetter nicht fliegen können… und (wie im Artikel schon erwähnt) nicht einschreiten können.
    Die Bahnkunden bezahlen es mit höheren Preisen.

    Inzwischen kommt man sich vor wie in einer Irrenanstalt. Dieser Neoliberalismus ist völlig gaga.

  6. na – ich habe das mit dem krach erst vor kurzem am eigenen leib erfahren. die polizei hat zumindest nicht für ruhe gesorgt – ergebnis ist, daß meine türe eingetreten wurde! „Früher war alles besser“? zumindest leider in diesem punkt…

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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