Feinste Unterschiede


/update Wer wissen möchte, wie sehr Frau Merkel sich mit ihrem doch deutlich geäußerten Ärger aus dem Fenster gehängt hat, braucht nur mal bei Twitter vorbeizuschauen. Die Reaktionen sind mit „Spott“ und „Häme“ nur unzureichend umschrieben. Hashtag: #merkelphone

Endlich ist der NSA-Skandal auch offiziell in Berlin angekommen. Was aber erschreckt, ist, dass nicht die flächendeckende Überwachung aller Einwohner Deutschlands dazu geführt hat, sondern ein einzelnes, singuläres Ereignis:

Auch Frau Merkel wurde abgehört.

JETZT ist es auch für die Bundesregierung ein Skandal. Frau Merkel abhören und dann auch noch auf dem Privathandy: Das geht ja gar nicht.

Ach, aber alles andere ist völlig in Ordnung?

Ich bin recht froh, dass auch die Bundesregierung endlich geruht, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Abhören privater Gespräche eben NICHT in Ordnung ist. Es geht schließlich um das Privathandy von Frau Merkel.

Der Botschafter wurde einbestellt, Frau Merkel hat Herrn Obama angerufen und ihn ausgeschimpft. Strenge Worte hat sie gebraucht – ich bin sicher, er hat sich anständig gescholten gefühlt.

Was wir weltweit brauchen, dringend brauchen, ist ein Bewußtsein dafür, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Auch nicht für Regierungsorganisationen, die offenbar glauben, sie müssen sich an kein Gesetz mehr halten, sobald das nur „im Internet“ ist.

Wir brauchen neue Datenschutzgesetze, die Wirksamkeit entfalten. Zunächst auf europäischer Ebene, aber dann muss das via UNO auch weltweit implementiert werden. Und wenn der gesamte chinesische Zentralrat danach nicht mehr gut schlafen kann: Auch gut.

Wir brauchen Datenschutzbehörden, die mehr sind als nur Attrappen. Und vor allem müssen endlich die Geheimdienste wirksam an die Kette gelegt werden. Ronald McDonald Pofalla hat völlig versagt. Bzw. nein, eigentlich hat er ja seinen Job perfekt gemacht: Er hat den Geheimdiensten nicht nur keine Steine in den Weg gelegt, er hat zudem die Steine, die noch da waren, auch noch ausgeräumt. Und er hat als Schutzschild zwischen der bösen Realität und Frau Merkel fungiert.

Pofalla gehört abgelöst. Die Dienste gehören aufgelöst. Wozu halten wir uns eigentlich 16+x Geheimdienste, wenn wir offenbar nicht mal mehr genug Geld haben, um Schulen und Bibliotheken vernünftig auszustatten? Im Kulturbereich wird massiv gespart (von einigen Protzbauten wie in Hamburg mal abgesehen), aber die Geheimdienste brauchen nur mal kurz aufweinen („das dürfen wir nicht und dann gehen uns böse Leute durchs Netz“) und schon wird das Mündchen mit weiteren Millionen gestopft. Der Kleine solls doch warm haben.

Kontrolle, was mit dem Geld passiert? Fehlanzeige. Die Akten sind geheim. Wie bequem. Kontrolle, was die Geheimdienste überhaupt machen? Fehlanzeige. Die Akten sind geheim. Wie bequem.

Ich gebe zu, dass es Dinge gibt, die man tatsächlich für eine gewisse Zeit unter Verschluß halten muss. Aber nicht für immer. Wer zu ausufernd Geheimnisse aufbaut, hat etwas zu verbergen.

Und wer abhört und Geheimnisse aufbaut, der möchte zudem nicht, dass seine Geheimnisse von denen entdeckt werden, die sie betreffen.

Wie schlimm die Lage ist, sieht man exemplarisch an Petra Pau. Sie hat ein Auskunftsersuchen gestellt, sie wollte wissen, welche Akten über sie angelegt worden sind. Das Auskunftsersuchen wurde mit Hinweis auf die zu hohe Arbeitsbelastung abgelehnt. Man würde für dieses Auskunftsersuchen zuviel Arbeitskraft einsetzen müssen.

Das läßt Rückschlüsse auf die Menge der vorliegenden Akten über Frau Pau zu. Wer hier noch glaubt, dass die Geheimdienste in irgendeiner Form besser sind als die Stasi, der lebt im Nimmerland. Frau Pau ist Angehörige einer demokratisch legitimierten Bundestagspartei. Als solche wird sie (weil sie ja der „Stasi-Nachfolge-Organisation“ Den Linken angehört) offenbar konsequent mit IMs umgeben und konsequent auf Schritt und Tritt überwacht.

So kann man nicht vernünftig Abgeordneter sein und das ist auch genau das Ziel. Einschüchterung statt politischem Konsens.

Es ist bezeichnend, dass die berühmte Rote Linie, die dieses Jahr schon zu so vielen Zwecken herhalten musste, ausgerechnet da überschritten wurde, wo klar war, dass auch Frau Merkel abgehört wurde.

Doch die Konsequenzen, die betreffen uns alle. Jeden.

Dich.

Mich.

Und unsere Kinder.

Es stellt sich die Frage: Wie soll die Welt aussehen, die wir ihnen hinterlassen?

Und dürfen wir die Weichenstellung wirklich jemandem überlassen, der so offensichtlich mit zweierlei Maß misst wie Frau Merkel?

/update

Ulf hat Frau Merkel einen Brief geschrieben.

Und der Postillon hat auch was dazu.

Veröffentlicht am 24. Oktober 2013, in Innenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 20 Kommentare.

  1. „Alle Tiere sind gleich,
    Aber manche sind gleicher.“ – Animal Farm (George Orwell)

  2. Was nutzen Datenschutzbehörden, wenn diese erstens zahnlose Tiger sind und zweitens Geheimdienste aus aller Welt ungeniert die komplette Kommunikation abhören, speichern und auswerten?
    Solange wir allerdings so leben, wie wir es derzeit tun, wird kein Land der Welt freiwillig auf seine Geheimdienste oder seine Streitkräfte verzichten.
    Somit bleibt nichts anderes übrig, als davon auszugehen, dass alles was wir sagen gegen uns verwenden werden wird.
    Eigentlich müsste jeder von uns jeden beschissenen Montag, Dienstag oder sonstigen Tag auf die Straße gehen und zeigen, dass das so nicht in Ordnung ist, dass wir meinen unf fühlen, dass das nicht Ordnung ist.
    Zumal die Begründung, terroristische Aktivitäten unterbinden zu wollen, mehr als nur fadenscheinig ist…

  3. Was regt sich Frau Merkel auf? Wenn sie nichts zu verbergen hat sie nichts zu befürchten.

  4. Die Merkel abhören? So etwas wie Ekel scheinen die Amerikaner echt nicht zu kennen 😉

  5. ein anderer Stefan

    In einem Punkt bin ich nicht Deiner Meinung: den Stasivergleich kann ich nicht akzeptieren. Die Stasi hat Leute auf offener Straße weggefangen, eingesperrt und sie mit Psychofolter übelster Sorte zugrundegerichtet. Die Angehörigen wussten oft nicht einmal, was passiert ist. „Unsere“ DIenste schwanken zwischen unfähig und unkontrolliert, aber ich denke, dass hier nicht systematisch und vorsätzlich Menschen zerstört werden.

    • Optimist. Die USA hat auch mit deutscher Hilfe Leute auf offener Straße weggefangen, eingesperrt und sie mit Psychofolter übelster Sorte zugrundegerichtet. Sie bombt Terroristen sogar einfach ohne jede Gerichtsverhandlung oder Verteidigunsmöglichkeit weg.

      Nein, kein USA-bashing. Wir sind nicht einen Millimeter besser, höchstens dümmer. Unsere Geheimdienste tun genau das Selbe – streng nach Gesetz beugen sie es, wann immer es möglich ist. Das ist ihre Aufgabe. Genau dies ist der Grund, warum die Regierung schweigt und keine Lösung will. Ihr werdet das ganz sicher noch sehen.

      Pofallas Rede spricht Bände.

      • ein anderer Stefan

        Ich ging jetzt von deutschen Geheimdiensten aus. Dass die US-Dienste schon längst eine Geheimpolizei sind, mit den entsprechenden Methoden, ist spätestens seit Guantanamo ja offensichtlich. DIe Entwicklung in Deutschland ist höchst bedenklich, wie z.B. die systematische Bespitzelung von Linken-Politikern und dann die rotzfreche Antwort, eine Auskunft (an Petra Pau) würde zuviel Personal binden und deswegen nicht erteilt, zeigt ja deutlich, in welche Richtung das geht. Aber so infam wie die Stasi sind sie noch nicht wieder.

        • Ja. Aber USA-Bashing nutzt nichts. Wir sollten zunächst vor unserer Türe kehren. Da hausen Drachen. Und noch ein ja: Stasivergleiche sind problematisch – der Opfer nicht angemessen – und wenig konstruktiv.

  6. Was regen sich denn alle so auf?
    Jetzt erkennt die Regierung doch endlich an, dass die Abhörskandale nicht in Ordnung sind. Besser spät als nie. Aber trotzdem hat die »Netzgemeinde« nichts besseres zu tun, als sich über Angela Merkel beschweren.
    Das Problem sind immer noch die Geheimdienste und nicht die Naivität von Frau Merkel. Man sollte lieber versuchen es allen Menschen begreiflich zu machen, dass der Abhörskandal alle etwas angeht, anstatt ihnen zu erzählen, wie dumm Angela Merkel doch ist und das man es doch gleich gesagt hat.

    • Wie ich sagte: Besser spät als nie. Nur: Es sind die falschen Gründe. Was bedeutet, dass die Konsequenz eben NICHT mehr Datenschutz für alle sein wird, sondern ein weiteres Abschotten der Regierung vor der Realität.

      Genau darum bekommt Merkel gerade so auf die Schnauze – verdient und völlig zu Recht.

  7. Ich bin gerade am Popcorn machen. Merkal und ihr französicher Amtskollege sollen ja jetzt für die EU zu Obama gehen und mal tüchtig „dudududu“ machen.
    Die erwartete Reaktion ist ein sehr zerknirschter Obama, der verspricht, dass das nie wieder vorkommt (, so lange die sich nicht in den USA oder außerhalb auf dem Planten aufhalten.)
    Die ehrlich Reaktion wäre, ein ernster Obama, der meint nö unsere Sicherheitsinteressen sind wichtiger.
    Die coole Reaktion wäre ein grinsender Obama, der sagt: „Haha get lost suckers!“
    Mal im Ernst, da kommt eh nix bei rum, weder bei der USA noch in der EU.

    • „Hey, Madame Merkel!“
      „Frau Doktor Merkel! Ich muss doch bitten!“
      „Hey, Madame Merkel, du wirst angehört!“
      „NEIN!“
      „DOCH!“
      „OH!“

      😀

  8. Was ich mich frage: Warum jetzt?

    Merkel ist eine ausgezeichnete Taktikerin, das hat sie im Wahlkampf gezeigt, Totschweigen der NSA-Affäre, Totschweigen der Eurokrise usw. Sie ist ein Miststück, aber sie ist nicht dumm.

    Was sind also ihre Motive, den „beendeten“ Skandal jetzt wieder auszugraben, und zwar mit dem Anlass, dass das #Merkelphone abgehört wurde? Sie kann sich ausrechnen, dass die Bevölkerung genau so reagiert, wie sie reagiert: Merkel ist scheißegal, wenn 80 Millionen Bürger abgehört werden, aber wehe, die Bundeskanzlerin wird wie eine Bürgerin behandelt …

    Was ich damit sagen will: Die Begründung für den „neuen“ Skandal schadet Merkel eher. Gut, man könnte sagen, dass sie jetzt Zeit und Lust auf den Skandal hat, weil ja der Wahlkampf vorbei ist, aber genauso gut hätte sie die Sache weiter totschweigen können, sogar noch ohne Pofalla und Friedrich weiter zu demontieren.

    Was ist also die Motivation? Merkels Narzissmus, über dem Pöbel schweben zu wollen, ist dafür eigentlich zu wenig. Dafür würde sie sich nicht derart angreifbar machen.

    Nein, ich glaube, Merkel verfolgt damit ein höheres Ziel, eines, das uns momentan noch nicht ins Auge fällt. Sicher kein ehrbareres Ziel, sondern ein höchst eigennütziges. Vielleicht will sie tatsächlich Pofalla und/oder Friedrich absägen, weil sie die Stellen für SPD-Personal braucht? Vielleicht braucht sie den NSA-Skandal, um in den Koalitionsverhandlungen irgendwelche CDU-Positionen gegen die SPD durchdrücken zu können?

    Egal, was es ist, nur eines ist sicher: Die Datensicherheit der Bürger liegt Merkel jedenfalls nicht am Herzen.

    • In dieser Einschätzung stimme ich dir zu.

    • Hi Kinki 🙂

      Merkel hat Totschweigen von Kohl gelernt. Aussitzen und Ehrenwort. Die Motive zur NSA-Skandal finde ich relativ klar.

      Vor der Wahl heißt es aussitzen. Denn Michel bekommt nur dumme Gedanken, wenn das zu wichtig genommen wird. Nach der Wahl ist das immer noch in den Medien. Blöder Snowden aber auch. Also ein wenig Aktionismus, Friedrich hier Pofalla dort. Doch das Thema stirbt einfach nicht.

      Folglich muss die große Keule her. Die Kanzlerin wird abgehört. Das soll das Volk einen, „sieh, sogar vor mir machen die nicht halt – vor Eurer Bundeskanzlerin“.

      Natürlich werden immer noch keine Konsequenzen gezogen. Denn das alles wusste jede Regierung seit Adenauer. Das alles wollte jede Regierung seit Adenauer. Denn 007 und 9/11 (was ich hier nicht klein reden will!!) zeigte die Weltbedrohung immer wieder. Kanzler und Präsidenten möchten einfach auf den Knopf drücken oder fragen: „Computer, wo ist seven of nine“. So drückt sich Macht aus. Die Koalition wird daran gar nichts ändern.

      Zugegeben, das ist stark vereinfacht. Doch der Plot stimmt im Kern.

      • Jau – n bisschen mit den Finger drohen, „du, du, du!“ sagen und das wars dann wahrscheinlich schon.
        Schade finde ich, dass es so selten jemanden, dem man Gehör schenkt, gibt, der „dem Volke“ mal zeigt, wie lächerlich so etwas ist, wie lächerlich sich die Verantwortlichen machen, wenn sie so handeln, wie sie handeln.

  9. Spontan musste ich an Pispers denken. Etwa an:

    Ne, ich weiß nicht. Lächerlich ist das nicht, wenn Politiker jede Situation so lange drehen und wenden, bis es ihren Interessen in den Kram passt. Gesetze beinhalten Sollbruchstellen, Steuerreglungen lassen absichtliche Löcher und das Grundgesetz wird relativiert durch „näheres regelt ein Gesetz“.

    So gibt es seit 1968 Notstandsgesetze, bei denen noch niemand den Notstand vernünftig erklärt hat. Spätestens 1990 hätten es hier eine Neubewertung geben sollen. Diese Notstandsgesetze sind Teil der Situation heute, etwa in der Einschränkung des Art 10 GG mit der ein Rechtsweg bei Missachtung des Kommunikationsgeheimnisses ausgeschlossen wird.

    Das ist so wie beim Lotto: Grundrechte ohne Gewähr.

    Dieses Regieren ist nur ein Umfahren der Dinge, die ausschließlich aus der Sicht der Regierung Gefahren darstellt. Bei genügend Aufschrei in der Bevölkerung machen die ein No-Spy-Abkommen mit den USA und der Effekt ist, dass wir „transparent“ für die Geheimdienste noch mehr in das Spionagenetz eingebunden werden.

    Hilft das nicht, dann wird sich mit der EU Verantwortlichkeit – natürlich wieder durch Regierungen, auch von Merkel gelenkt – rausgeredet. Diplomatie ist eben Alles.

    Und alle sind glücklich. Daddy don’t mind what daddy dont see. Das meinen die jedenfalls.

    • Jau – mit der EU herausreden, Verantwortlichkeiten abschieben und dann am besten alles per Veto blockieren.
      Entschuldige bitte, dass ich solches Verhalten als lächerlich bezeichne! 😉

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