Und nochmal die Krautreporter
Es gibt da einige Kritikpunkte, die man diskutieren kann, diskutieren sollte. Und ich mag Twitter nicht dafür nutzen, weil Christian Jakubetz da recht hat: Mit 140 Zeichen sind zuwenig. *g*
Ms. Cologne (nein, hat nix mit AliCologne zu tun *g*) hat ihre Kritik an den Krautreportern geäußert. Und an dieser Kritik gibts ein paar Punkte, die mich etwas stören. Zum Beispiel der hier:
Die Kollegen, die sich an Bord befinden, kommen mir bekannt vor, einer studierte in Leipzig ein Studienjahr über mir. Sie haben beeindruckende Lebensläufe, repräsentieren eine geballte Erfahrung in ihren Themenbereichen, und ich bin überzeugt, dass sie in ihren Beiträgen höchsten Qualitätsansprüchen genügen. Nur: Das tun all die Protagonisten schon anderswo. Sie alle sind mehr oder weniger bekannt, man weiß, was man von ihnen erwarten kann. … Wozu braucht der Leser, der sich für das interessiert, was er schreibt, das Onlinemagazin Krautreporter?
Es ist in der Tat weniger so, dass Niggemeier die Krautreporter braucht – aber der Leser braucht sie. Und ich glaube, das kann ich auch begründen.
Wir leben in Zeiten, wo die etablierten und „lauten“ Journalisten, also die, die gehört werden, sich sehr eng mit denen verzahnt haben, die sie eigentlich überwachen sollten. Diese Verzahnungen werden weitgehend unter der Decke gehalten – Joffé hat selbst den Streisand-Effekt in Kauf genommen, um das ZDF für die Sendung abzustrafen.
Es war nie einfacher als jetzt, Quellen auf Plausibilität zu prüfen – und doch gleichzeitig nie so schwer wie jetzt. Sämtliche Konflikte auf der Welt sind plötzlich *auch* PR-Konflikte. Du kannst keinen Krieg mehr führen ohne die PR im Auge zu behalten. Hamas hat das gelernt, Israel noch nicht so. In der Ukraine beherrschen alle Parteien das Spiel mit den Medien und den etablierten Vorurteilen perfekt.
In diesem Konglomerat von Positions-PR (um es neutral auszudrücken) muss man auch die Intentionen und Positionen des Journalisten kennen, der den Artikel verfasst hat, sonst kann man die Meinung nicht mehr richtig einschätzen. Das war immer ein Problem, ist jetzt aber seit Syrien, Snowden, Gaza und der Ukraine richtig drängend geworden.
Wenn jetzt ein Magazin es schafft, dem Anspruch, dass sie neutral über *verschiedene* Themen an *einem* Platz, also eine Art SpOn in gut, gerecht zu werden: Ich bin dafür. Ich brauche dann nicht mehr den übervollen RSS-Feed, der inzwischen aus allen Nähten platzt, ich hol mir dann die Sammelplätze: CARTA, Krautreporter und ein paar andere.
Der zweite Punkt, der mich stört, ist das derailing der Werbeeinblendungen, ich zitiere den Absatz ganz, weil sonst der Zusammenhang nicht klar wird (ist viel):
Diese Attitüde, dass unabhängiger Journalismus nur werbefrei funktionieren kann, kann ich nicht nachvollziehen. So etwas mag für kleinauflagige Lokalblätter gelten (wobei ich ihnen da nicht Unrecht tun möchte), aber große Zeitungen / Zeitschriften / Portale müssen sich vor großen Auftraggebern nicht fürchten. Denn auch dort weiß man durchaus zu schätzen, wenn Journalisten wirklich mal ihren Job machen, sachlich und vor allem ausgewogen (!) berichten. Mich stört Werbung nicht grundsätzlich. Mir ist wichtig, dass sie sich von der Redaktion unterscheidet, was – zugegeben – in vielen Titeln so nicht gelingt. Ich meine aber, dass Journalisten gut daran täten, ihre Nase nicht so hoch zu tragen (Werbung und PR sei igittpfuibäh). Denn: Beide, sowohl Industrie als auch Journalisten, könnten sehr gut nebeneinander bestehen. Mit Betonung auf Nebeneinander. PR und Werbung ersetzen keinen Journalismus.
Wer das nicht glaubt, darf sich mal bei Fachzeitschriften umschauen, die eine sehr klar umrissene Zielgruppe haben. Zahnärzte zum Beispiel. In deren Medien (es gibt hier übrigens über 100 Titel!) werden gelegentlich so genannte Anwenderberichte veröffentlicht. Sie zeigen, wie ein Zahnarzt ein bestimmtes Produkt (etwa ein neues Komposit) in seiner Praxis nutzt. Dafür bekommt er Geld vom Hersteller. Ich dachte anfangs auch: Igitt, das ist Werbung, das liest doch keiner. Weit gefehlt! Zahnärzte wissen solche Berichte richtig einzuschätzen, und sie sind durchaus interessiert an der Meinung des Kollegen, wenn diese schlüssig begründet (!) wird.
Und hier hat bei mir fast so etwas wie Verzweiflung eingesetzt. „Große Auftraggeber“ wissen es also „zu schätzen“, wenn der Verlag, bei dem sie eine schweinekohle für Anzeigen lassen, sie mal eben aufgrund von Umweltverstößen oder Misshandlung von Arbeitnehmern oder anderen kleineren oder größeren Betrügereien zerlegt? Anzeigeaufträge werden dann NICHT zurückgezogen?
Bei allem Respekt, Ms. Cologne, aber das glaubst du doch wohl selbst nicht? Wenn Siemens eine dicke Enthüllungsstory über deren Korruption kassiert, dann ziehen die NICHT die Werbeanzeigen zurück oder dampfen sie zumindest auf ein Minimum ein? Im Ernst?
Auch das Minimieren der als „redaktionelle Inhalte“ gekennzeichneten Anzeigen als „hab ich versucht, aber hat leider nicht geklappt“ ist ein Derailing erster Güte. Denn es suggeriert, dass der zuständige Schreiber das nicht mit Absicht gemacht hat.
Dieses „ist nicht gelungen“ ist aber kein Versehen. Wenn Anzeigen ohne entsprechende Kennzeichnung als redaktioneller Inhalt aufgemacht werden, dann wird damit ein bestimmtes Ziel verfolgt. Man möchte den Werbeaussagen zusätzliches Gewicht verleihen, indem man vorgaukelt, dass man recherchiert hat und dann zu solchen Jubelarien gekommen ist.
Das ist auf zweierlei Art sehr problematisch: Einerseits unterminiert so die Redaktion ihre eigene Seriosität und es wird jegliche journalistische Ethik kompromittiert.
Auf der anderen Seite stehen die Leser, die sich an dieser Art „Redaktionelle Inhalte“ gewöhnen und dann die Artikel auch dann nicht mehr ernst nehmen, wenn sie ernst gemeint sind.
Wer davon profitiert? Die Truther-Bewegung zum Beispiel. Die Verschwörungstheorie-Blogs und Vlogs. Denn diese als „redaktionelle Inhalte“ gekennzeichneten Werbeanzeigen sind die üblichen PR-Lügen. Und *gerade* im Journalismus gilt: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.
Nicht umsonst prangert das Bildblog diese Artikel immer und immer wieder an.
Wenn dann noch die Krautreporter ohne diese Klickhuren auskommen: Yay. Danke. Alleine dann ist das Medium es wert, gelesen zu werden.
Noch ein Wort zum Frauenanteil:
Frauen schauen bei solchen Projekten sowohl auf ihre Chancen als auch auf ihre Risiken, sie sind in solchen Dingen – so meine Erfahrung – sehr pragmatisch: Offensichtlich bewerteten sie in diesem Fall die Risiken höher. Abgesehen davon fielen mir ad hoc einige Kolleginnen ein, die Expertise hätten einbringen können, wo man sie von Frauen vielleicht nicht gleich erwartet. Doch sehr wahrscheinlich wussten sie von dem Projekt auch gar nicht, weil es ein Zusammenschluss von Leuten ist, die einander kennen.
Willkommen in der Welt der Vernetzung, wo man nur dann gelesen wird, wenn man auch entsprechend „vernetzt“ ist.
Man kann grundsätzlich kritisieren, dass man eine Art „Vernetzungsfilterbubble“ aufbaut, die einen daran hindert, die Leute außerhalb dieser Netze kennenzulernen. Und das ist dann in der Tat auch ein Problem der Krautreporter.
Aber das Frauen „pragmatischer“ an Dinge herangehen, halte ich nach wie vor für ein Gerücht. Sie setzen eher auf „Nummer sicher“, wo Männer mehr Risiken eingehen, dem stimme ich zu. Aber daraus zu schließen, dass man die Risiken nicht eingehen sollte, weil Frauen keine Bereitschaft signalisieren, da mitzumachen, halte ich für einen Trugschluß.
Denn manchmal bedeutet die fehlende Risikobereitschaft nicht „Pragmatismus“ sondern „Ängstlichkeit“ und man weiß nicht, was es genau ist, wenn mans nicht ausprobiert hat.
Und da bringe ich noch nicht mal die homophobe Schiene mit rein, die den einen oder anderen durchaus davon abhalten dürften, mit Niggemeier zusammenzuarbeiten. 😉
Veröffentlicht am 11. August 2014, in Mediales. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.
Ja, es wäre sicher nicht schlecht, wenn sich auf dem Weg neue Talente offenbart hätten – aber das wäre wahrscheinlich gescheitert. Die Krauts (SCNR) haben das Geld zusammenbekommen, sicher auch, weil bekannte Namen dabei sind. Für einen Startup in der Branche braucht man ein paar Leute, die schon einen Namen haben. Hätten jetzt 20 Journalismus-Absolventen so was aufgezogen, wäre das wohl nix geworden. Man muss mit dem leben, was man kriegt – und das waren halt die Krautreporter.
Ich bin auch der Meinung, dass Werbekunden oder allgemein große Unternehmen die Presse beeinflussen – da läuft doch gerade diese Geschichte mit dem SWR, die bei Daimler heimlich gefilmt haben. Würde mich nicht wundern, wenn das Sponsoring von Daimler beim SWR demnächst geringer ausfällt.In der Lokalpresse ist das wahrscheinlich noch ausgeprägter, ich glaube kaum, dass man in Künzelsau als Journalist damit durchkommt, kritisch über Würth zu berichten (um mal ein willkürliches Beispiel zu nehmen). Das muss ja gar nicht mal absichtlich sein, sondern da wirkt oftmals schon die Schere im Kopf.
Was den Frauenanteil angeht – gibt es denn Erkenntnisse, wie das Verhältnis in der Journalistenschaft im allgemeinen ist? Gibt es Trends, für welche Sparte sich Männer und Frauen interessieren ?(ich gehe davon aus, dass das nicht gleich verteilt ist. Die Gründe dafür sind mir herzlich egal.) Möglicherweise ist das bei den Krautreportern ja leidlich repräsentativ, mit knapp 1/4 Frauen. Das würde dann mehr über den Journalismus in Deutschland im Allgemeinen sagen als über die Krautreporter im Besonderen. Dass die Frauen gleich erkennen, dass das nix wird, halte ich für Unfug.
Klar, wir Frauen sehen sofort, ob ein Projekt Chancen hat oder zu Riskoreich ist. Deshalb haben wir ja auch eine Bundeskanzlerin. Das klappt ja alles prima so!
*/ironie off
Ich bezieh mich mal auf folgenden Satz:
„Willkommen in der Welt der Vernetzung, wo man nur dann gelesen wird, wenn man auch entsprechend “vernetzt” ist.“
Das ist ja nicht nur im Journalismus so, sondern mittlerweile nahezu überall. Selbst im Privaten Bereich bist Du ein Niemand, wenn Du nicht bei Facebook bist, kein Internet hast oder keine Email (oder sie nicht raus geben möchtest). Ich finde, das dies immer schlimmer wird und ich bekomme schon ein wenig Angst, wenn ich darüber nachdenke, wo das ganze noch hinführen soll.
Aber letztendlich ist das eher Offtopic und eher meine kleine, Bescheidene Meinung zum Thema Vernetzung.