Medien-PR oder auch: Wann muss ich wegsehen


Im Zeitalter des Social Webs findet man alle möglichen Bilder und Videos frei Haus. Katzenbilder, Hundebilder, Menschenbilder, Selfies, nicht-so-selfies: Sie alle fluten unser Web und die Timeline in den verschiedenen Kanälen.

Aber in Zeiten, wo die Krisen in der Welt zunehmen, wird auch die PR-Hoheit wichtiger. Und plötzlich werden die Bilder weniger schön. Ein totes Kind: „TEILEN“ – mit dem Kommentar: Beendet die Morde.

Und hier fangen dann die Probleme an.

Die wenigsten Bilder sind verifiziert. Gleiches gilt für Videos. Ich habe Videos angeblicher israelischer Angriffe gesehen, wo die Soldaten Saddam-Uniformen trugen. Aber mit aktuellem Datum.

In Zeiten des Web 2.0 sind die Bilder eine PR-Macht und werden auch entsprechend genutzt. Und als jemand, der diese Bilder möglicherweise teilt, sollte man sich dessen bewußt sein.

Nehmen wir aktuell die ISIS-Bilder aus dem Irak. Derzeit fliegen auf meiner Facebook-Timeline die Bilder und Videos im Dutzend billiger rein. Folterbilder, Bombenbilder, Köpfvideos. Immer mit der Empöreria dabei. „Diese Schweine müssen gestoppt werden“

Doch als allererstes sollte man dann bitte die Verbreitung dieser Bilder stoppen.

„Wie? Warum das denn? Wenn wir weggucken, können die problemlos weitermachen.“

Und mit dieser Frage verkennt man die Motivation der ISIS, diese Bilder überhaupt ins Netz zu stellen. Denn die sind die Absender. Und sie sind stolz darauf.

Menschlichkeit, menschliches Mitgefühl: All das sind den Kämpfern der ISIS fremd. Traumatisiert, brutalisiert und von einer atemberaubenden Selbstgerechtigkeit erfüllt, kennen sie nur ein Ziel: Den islamischen Staat unter ihren Bedingungen. Und wer sich nicht fügt, muss die Konsequenzen tragen.

Die ISIS ist eine Terrorgruppe im klassischen Sinn. Für Leute wie die ist die Terrorgesetzgebung eigentlich da – und wenn man diese Gesetze an dem Maßstäben der ISIS misst, merkt man vielleicht endlich, was für ein Bullshit das ist.

Aber zurück zur PR:

Die ISIS will Angst und Abscheu verbreiten. Für die ist das ein dickes Plus, wenn die sehen, dass die Leute geschockt sind. Ziel erreicht. Wenn ein Video seine Schockwirkung verloren hat, weils zu alt ist, weil die Leute sich dran gewöhnen: Braucht man ein neues, noch brutaleres.

Und genau darum reicht man der ISIS das Wasser, wenn man diese Bilder, am besten noch mit geschocktem Unterton, verbreitet. Genau darum sollte man das eben NICHT verbreiten.

Das bedeutet in dem Fall nicht wegsehen. Sondern es bedeutet, sich den PR-Tricks der ISIS zu verweigern. Man WEISS, dass die ISIS aus einer Bande skrupelloser und brutaler Verbrechern besteht. Bilder von Folterungen ihrer Opfer befriedigen einerseits die Voyerslust vieler Menschen und andererseits feuert es die PR-Abteilung der ISIS an, immer neue und brutalere Bilder zu produzieren.

Und die gehen mit tatsächlichen Opfern einher.

Ihr wollt den Terror der ISIS beenden? Das ist etwas, was tatsächlich jeder von uns kann: Einfach die Bilder nicht weiterverbreiten.

„Die Macht der Bilder hat den Vietnamkrieg beendet, ich teile das, um genug Druck aufzubauen. Gezi-Park war auch brutal und wurde geteilt.“

Wer so argumentiert, hat einige Dinge nicht verstanden. Das habe ich auch nicht in voller Gänze, aber: Die Unterschiede liegen auf der Hand.

Gezi-Park, das war Staatsterror. Und die Bilder waren wichtig, auch, um Druck auf Erdogan aufbauen zu können, damit der endlich mit den Leuten verhandelt. Erdogan war Ministerpräsident, der Mann musste wiedergewählt werden. Und die Gezi-Park-Bilder waren durchaus geeignet, die Wiederwahl zumindest eine Zeitlang fraglich zu machen.

Das kann dazu führen, dass der Staatsterrorist dann einlenkt und zurückrudert. Muss es aber nicht, wie man an Erdogan gesehen hat.

Der Vietnamkrieg war ebenfalls eine völlig andere Hausnummer. Die USA wollten den Kommunismus von Ho-Chi-Minh zurückdrängen. Sie haben daher flankierend zu Hause eine massive Propagandakampagne gestartet, die zeigen sollte, wie brutal sein Regime ist, und dass man den Leuten doch eigentlich hilft.

Mit dem Bild, dass letztlich auch verdient den Pulitzer-Preis gewonnen hat, wurde mit einem Schlag die Wahrheit brutal ans Licht gezerrt. Die ganze Propaganda half nichts mehr. Jedem war jetzt klar, WER der brutale Aggressor war. Und die Menschen auf den Straßen wollten das nicht mehr sein. Die amerikanische Friedensbewegung kam in Fahrt und beendete so den Vietnamkrieg.

Die Mächtigen in den USA hätten diesen Krieg noch Jahre weitergeführt – doch die Leute zogen nicht mehr mit. Das war alles, was es brauchte, diesen Krieg zu beenden.

Demgegenüber steht die ISIS. Es gibt niemand, der irgendeinen moralischen Druck auf die Leute aufbauen könnte. Diese Leute haben keine Moral. Menschen kommen zu Tode? Die Leute wollen Frieden? Sie haben die Schnauze voll von ISIS?

Das ist denen völllig egal. Wer protestiert, wird getötet. Und damit die Proteste nicht zu häufig werden, sorgen die ISIS-Verbrecher dafür, dass jeder Tod so schmerzhaft und grausam wie möglich ist. Und lange dauert.

Es werden Bilder davon gemacht, Videos gedreht. Und über die Social Medias verbreitet. Und dann ergötzt man sich an den schockierte Reaktionen der verweichlichten Westler.

Und dreht das nächste Video.

„Aber das Internet ist voll davon“

Das Internet ist auch voll von Hundekacke. Würdest du die weiterverbreiten? Das ist das alte „Leute, fresst Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren“-Argument.
„Machen alle anderen auch“ war noch nie ein valides Argument, das eigene Denken abzustellen.

Kann ich denn gar nichts tun?

Grundsätzlich hat sich nichts an der Tatsache geändert, das wir alle ziemlich hilflos sind. Verbrechen geschehen. Kriegsverbrechen geschehen. Das ist nicht zynisch, das ist eine Tatsache. Man kann sie nicht ändern, weil man furchtbare Bilder weiterverbreitet.

Das muss man anerkennen und dann kann man auch was tun.

– verbreitet keine Bilder weiter, von denen ihr nicht völlig überzeugt seid, dass sie auch tatsächlich das zeigen, was sie vorgeben (schuldig im Sinne der Anklage… ich lerne auch noch)

– ignoriert alle Bilder der ISIS, denn in diesem speziellen Fall hilft man der ISIS, ihre Terrorbotschaft weiterzuverbreiten, wenn man den Dreck teilt.

Und ansonsten: Holt die Montagsdemos zurück. Oder macht Sonntagsdemos draus. Wir brauchen wieder eine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient.

Dann kriegen wir auch endlich die ganzen Krisenherde in den Griff.

Ja, ich weiß. Aber man darf doch nochmal träumen?

Veröffentlicht am 30. August 2014, in Mediales. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 12 Kommentare.

  1. Es ist ein wenig wie in dem geflügelten Wort „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Diese Leute kennen keine Moral, außer ihrer Selbstgerechtigkeit. Sie sind Psychopathen. Mit ihnen kann man nicht vernünftig reden. Und sie sind absolut nicht empathiefähig, können sich absolut nicht in andere Menschen hineinversetzen.

    Auch Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, in einer freien, pluralistischen und mehr oder weniger säkulären Gesellschaft, sind für diese fürchterliche Ideologie empfänglich. Für die meisten Menschen mag dies unbegreiflich scheinen, aber es steckt immer etwas dahinter, das dies erklärt. Sei es die Suche nach einer Identität, nach einer Ordnung, die man woanders nicht sieht. Jeder Mensch hat seine Motive, um etwas zu tun, auch wenn sie nicht sofort offensichtlich sind.

    Einzelne Menschen können geisteskrank sein. Und manchmal sind eben auch viele Menschen von EINER Krankheit befallen. Man kann sowas Massenpsychose denken. Doch der Begriff ist viel zu grob für das was ich damit meine.

    Und ja, die sind stolz auf diese Bilder, und wenn man sie verbreitet, spielt man ihnen in die Hände. Ist dieses massenhafte Teilen von solchen Bildern nicht auch ein Heischen nach Aufmerksamkeit, um auch mal im Mittelpunkt zu stehen, um auch mal sich hinstellen und sagen zu können „Schaut her, ich mache auch etwas“?

    Aber es bedient auch den Voyeurismus der Menschen. Die sich nach immer grausameren Nachrichten sehnen, damit sie ein wohliges Gruseln überkommt während sie in ihren Vier Wänden sitzen und froh sind, dass IHNEN so etwas zum Glück nicht passieren kann. Sie wollen immer bestialischere Nachrichten, weil es für sie schon eine Art Unterhaltung ist, solche „Nachrichten“ zu hören und zu lesen. Und irgendwann spielt es auch keine Rolle mehr, ob die Nachrichten wirklich wahr sind oder doch nur irgendwie übertrieben.

    Weil man geil ist auf neue Grausamkeiten, werden die abstrusesten Geschichten geglaubt und weitergegeben. Egal, ob die Bilder wirklich von dort stammen, hauptsache grausam. Und so wird eine neue Wahrheit geschaffen, die mit der Wirklichkeit nicht unbedingt zu tun haben muss. Hauptsache, der Voyeurismus der Leute ist befriedigt.

    • „Sie sind stolz auf diese Bilder“ ist imho zu kurz gegriffen.

      Diese Bilder werden in der Absicht erzeugt, Schockeffekte auszulösen. Und Terror zu verbreiten. Angst, Abscheu, das wird gezielt erzeugt, indem man die Menschlichkeit aufgibt und andere Menschen mit größtmöglicher Bestialität behandelt.

      Das ist das Wesen einer Terrorgruppe. Das ist das was die wollen. Und das große Ziel ist es, uns dadurch so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass wir die alleine lassen – und möglicherweise irgendwann deren Opfer werden, und uns nicht wehren.

  2. danke dir. Gott sei Dank landet bei mir davon nichts auf meiner facebook line, keine freunde teilen so einen scheiß.
    kann ich deinen artikel in der montagsdemo münchen seite auf fb teilen, wenn’s ok ist? grüße!

  3. Klar, die Bilder werden erzeugt, um die Macht der ISIS zu demonstrieren und zu festigen. Auch durch die Schocks, die die Bilder auslösen – ganz besonders dort, wo die ISIS herrscht oder es beabsichtigt.

    Es ist einfach nur schlimm.

    Und es wäre schön, wenn man Krieg einfach durch X-Demos beenden könnte. Ich würde sofort mitziehen. Leider bin ich Realist. Und wenn ich das weiter so beobachte, befürchte ich, dass die Krisenherde immer größer und vielfältiger werden.

    Man, man, wo soll das alles noch hinführen?

    • Das ist die Ernte, die man einfährt, wenn man wie wild und unkontrolliert Waffen in der Welt verkauft. Irgendwann richtet sie sich gegen dich.

      Deutschland ist der Drittgrößte Waffenexporteur weltweit. Gleich nach Russland und den USA

      • Und der Waffenexport geht ja munter weiter. Da erobert der IS eine Stadt nach der anderen, und was ist die Reaktion bei uns? „Wir schicken deren Gegnern einfach mehr Waffen.“ Bin ich der einzige, der das total wahnsinnig und alles andere als produktiv findet? Wer sagt denn, dass diese Waffen nicht in falsche Hände geraten? Was, wenn IS Waffenlager mit den neuesten besten Waffern erobert (wie sie es schon getan haben)? Was passiert mit den Waffen nach dem Krieg? Ach stimmt ja, der Krieg wird ja nicht mehr aufhören…

        • Wir werden richtig viel Geld verdienen!

          Also, nicht wir alle, nur die Waffenexporteure, aber denkt auch an die vielen, vielen Arbeitsplätze und das Ansehen der Deutschen in der Welt und überhaupt!

          /SARKASMUS AUS

        • Nope, bist du nicht. Haben die USA nicht damals den Taliban Waffen geliefert, damit die die Russen bekämpfen können?
          Die Waffen müssen ja noch nicht mal in andere Hände fallen. Es muss nur genug Zeit vergehen, dann werden die Waffen in den gleichen Händen gegen die Lieferer gerichtet.
          Es ist eigentlich wie mit Tierplagen: Wenn es irgendwo eine Taubenplage gibt, werden Falken angesiedelt. Das ist dann so lange toll, wie es keine Falkenplage gibt.
          Und von der Leyen darf sich keinen Fauxpas leisten in der Bewährungsposition als Verteidigungsministerin, sonst wird sie nie Kanzlerin.

          Was den Beitrag angeht, zeigt er wunderbar auf, dass immer noch zu viele Leute Argumenten wie „Machen alle anderen doch auch“ und „Man darf nicht wegsehen“ tatsächlich eine pauschale Bedeutung beimessen.

          Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.

        • „Bin ich der einzige, der das total wahnsinnig und alles andere als produktiv findet?“

          Bestimmt nicht. Aber wer gegen das kriegsgeile Geschwätz unserer Volksverar… *hüstel* …vertreter redet, wird ja gleich niedergemacht. Pazifist ist ja inzwischen wieder ein Schimpfwort. Ich frage mich, wo das hinführen soll.

          • Ja, dann kommen immer diese tollen Fragen wie diese hier:

            „Aber wenn eine deine Schwester angreift, was machst du dann?“
            (nix – ich habe keine Schwester (mehr))

            „Aber wenn einer deine Familie bedroht, dann haust du den doch auch oder?“
            (nur wenn er Worten nicht zugänglich ist; selbst dann töte ich ihn nicht)

            „Aber wenn einer dein Haus kaputtmacht, dann gibst du dem doch saures?“
            (habe kein Haus, das Argument ist ungültig)

            „Aber wenn einer einen anderen niedersticht, dann gibst dus dem doch richtig?“
            (nö – ich bin ja nich lebensmüde – Bullen anrufen und ggf. verfolgen)

            „Ja, aber wehrst du dich denn nich, wenn du angegriffen wirst?“
            (doch sicher, aber sicher nicht, indem ich nem anderen ne Waffe zustecke, auf dass er mir helfe)

            […]

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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