Ein kleines Lehrstück über Antisemitismus


…und Religion, speziell die christliche.

Wird nicht nett. Wenn du gläubig bist, schalte lieber ab. Oder halt. Ne, lies weiter. 🙂

Ich bin gerade dank Mike Stuchbery auf den britischen Heiligen Robert of Bury gestoßen. Mr. Stuchbery ist Historiker und es lohnt sich übrigens, ihm zu folgen.

Robert of Bury war ein „Kind-Heiliger“. Ein Junge, der 1181 ermordet wurde. Angeblich von Juden als Blutopfer. Die Zeit, in der der Junge lebte, war keine leichte in dem, was später mal Großbritannien werden sollte. Es war eine Zeit des Umbruchs, Wilhelm der Eroberer hatte gerade mal 100 Jahre zuvor die Insel erobert und die Normannen waren immer noch irgendwie nicht voll integriert.

Den Angeln hatte noch keiner das sächseln beigebracht. Oder so ähnlich.

Hungersnöte und Krankheiten waren an der Tagesordnung. Die Oberen hatten das Sagen und wer sich dem entgegenstellte, hat dann die durchschnittliche Lebenserwartung noch etwas weiter nach unten gezogen. Meist war das kein schöner Tod.

Mittelalter halt. Das, was wir heute in unserer Einfalt in Rollenspielen nachzuspielen versuchen. In modern geschneiderten Mittelalterkleidern (mit der Nähmaschine, nicht mit der Ahle). Das Leben war verdammt hart, Zerstreuungen gab es kaum. Dann und wann mal ein Wanderzirkus oder Fahrendes Volk. Märkte. Aber in erster Linie waren die Leute damit beschäftigt, genug zu beißen anzubauen, damit man den Winter überlebte. Selbstverständlich war das nicht.

Eine dieser Zerstreuungen war dann die öffentliche Hinrichtung. Man sah dabei zu, wie ein Missetäter öffentlich hingerichtet wurde, in dem wohligen Bewußtsein, dass man ein gottesfürchtiges Mitglied der Gemeinde war. Kinder waren Wegwerfware. Sie wurden zwar für die nächste Generation gebraucht, doch da sie so leicht starben, hat man wenig investiert. Sie liefen so mit, waren günstige Arbeitskräfte und spätere Priester (die schickte man zur Schule). Wenn man Glück hatte, erreichten sie das Erwachsenenalter, aber häufig genug auch nicht.

Von 1140 bis etwa 1180, wenn ich das richtig sehe, gibt es eine Reihe von „Heiligen“ die eins gemein haben: Ihre Geschichte ist, wenn überhaupt, nur fragmentarisch überliefert. Sie sind jung. Kinder, um es genau zu sagen. Sie wurden angeblich von Juden ermordet, die das Blut für ihre seltsamen Rituale brauchten – zumindest das war die offizielle Erklärung für die Tode.

Im Leben mochten die Jungen wenig wert gewesen sein – dieser Wert steigerte sich im Tode ins unendliche. Da sie keinen Hintergrund hatten, konnte man beliebig Geschichten zu ihrem Leben erfinden. Keiner kannte diese Kinder, sie wurden ermordet, das war alles, was man wußte. Man hatte auch schnell einen Schuldigen. Die Juden.

Die dann auch entsprechend gezüchtigt wurden.

Diejenigen, die die Jungen in den Rang von „Heiligen“ erhoben haben, konnten frei agieren. Die Jungen konnten sich nicht mehr wehren, die Kulte dieser Jungen reichten teils bis in die Reformation hinein, frei erfundene Lebensgeschichten, die aber die Agenda der Kirche durchaus beflügelten.

Antisemitismus ist eine Waffe. Sie wird auch heute noch frei gebraucht, um Schuldzuweisungen zu erheben. Wenn „die Juden“ mal wieder an was Schuld sein sollen, dann ist individuelle Schuld unerheblich – es ist eine Kollektivschuld. Man ist Jude, man ist schuldig.

Das gipfelte im Holocaust.

Wisst ihr, wenn ich diese Geschichte hier und dann die Geschichte des Holocaust lese – und dann Leute sehe, die wieder die Juden beschuldigen, diesmal als „Großkapitalisten“ und „kaufen alles“, dann ist mir übel.

Denn diese Art der Kollektivschuldzuweisung ist zu einfach und macht es zu einfach, die Welt zu erklären. Sie öffnet Rattenfängern Tür und Tor. „Die Juden“ – ich seh die Fackeln schon brennen.

Es sind ja heute nicht nur „die Juden“. Wahlweise, weil halt seit dem Holocaust „die Juden“ jetzt als Kollektivschuldzuweisung nicht mehr so gut ankommt, sinds halt „die Muslime“.

Leute. Verbrecher begehen Terroranschläge. Nicht Muslime. Guckt mal in die USA. Die Terroranschläge da heißen „Mass shootings“ und werden überwiegend von weißen jungen Männern durchgeführt.

„Die Muslime“ oder „die Juden“ – jeder, aber auch ausnahmslos jeder, der ein derartiges Argument in der Tasche hat, will nix Gutes. Entweder ist er selbst reingefallen oder er will, dass IHR reinfallt.

Dazwischen gibts nix.

Am Ende stehen wieder Tote. Weil der Mensch halt ist, wie er ist. Und gerne mal mit Feuer spielt.

Veröffentlicht am 25. März 2018, in Nachdenkliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.

  1. grml – habe ich doch den RSS-Feed den alten Blogs rausgekanntet…

    Zum Thema: Wieso nur die Christen? Die Juden haben ach der Schaffung der „Sekte“ der „Christen“ diese Leute als abtrünnige Verfolgt. Die Muslime haben den Narrativ „Die Juden“ und „Die Christen“. Es ist also leider keine Einbahnstraße. Und dieses Narativ ist auch nicht auf die Gläubigen jeweils beschränkt. Sowohl Rechts als auch Links spinnt sich da Theorien zusammen und bezichtigt ganze Gruppen irgend eines Verbrechens. Im Dritten Reich und später im Westen war es dann „Der Kommunist“.

    Auch wenn der Islam aus seinen religiösen Texten heraus leider leichter für Terrorangriffe verwendet werden kann, es ist diese Pauschalisierung. Schauen wir uns doch mal den Alltag in Deutschland an. Hier sind es immer noch „Die Zigeuner“, „Die Polen“ und „Die Rumänen“ / „Die Jugos“. Wie drückt Fefe das so nett aus: Die Zivilisationsdecke ist dünn – seeehr dünn!

warf folgenden Kuchen auf den Teller