Aus Mangel an Beweisen


Für die USA ist die Sache in Syrien klar wie Kloßbrühe:

„Wir wollen da rein, also sagen wir, dass Assad der Schuldige ist. Wissen wir auch, weil wir haben schöne bunte Karten von der Region und der Mossad hat das bestätigt“

Die Kriegsrhetorik geht munter weiter, hat aber eine recht eindeutige Dimension bekommen, die von den USA vor Snowden in der Form nicht denkbar war. Gemerkt?

Ich muss an der Stelle weiter ausholen.

Die UNO wurde nach dem 2. Weltkrieg gegründet, um eine internationale Allianz zu bilden, damit Kriegsverbrechen, wie sie im Dritten Reich geschahen, nicht mehr ungeahndet bleiben. Gleichzeitig wurde auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte installiert und – theoretisch – mit den Befugnissen ausgestattet, um Menschenrechtsverletzungen zu ahnden.

Es stand bei der Gründung dieser beiden Institutionen die Erkenntnis im Vordergrund, dass man einen weiteren Weltkrieg unter allen Umständen verhindern müsse.

Es folgten die Jahre des Kalten Krieges und der Stellvertreterkriege – doch der „große Knall“, also die direkte Konfrontation USA – Russland und deren verheerende Folgen, der blieb aus. Nicht zuletzt verhindert durch die UNO.

Doch das Gleichgewicht hat sich inzwischen verschoben. Und zwar in Richtung USA. Das Vetorecht im Sicherheitsrat, wo die Sanktionen gegen Länder beschlossen werden, reicht ihnen nicht mehr, denn es sind insgesamt 5 Länder, die über ein Vetorecht verfügen, auch Russland und China.

Die amerikanische Regierung hat aber durchaus das Selbstverständnis, dass sie entscheidet, wer Menschenrechte verletzt und welche Menschenrechtsverletzungen sanktionswürdig sind und welche nicht.

Kuba? Boykott und das seit Jahrzehnten. Nordkorea? diplomatische Eiszeit. Iran? Seit der Revolution ein „Schurkenstaat“.

Aber dann wird es interessant. Irak? War ein Verbündeter, obwohl sowohl Saddam Hussein als auch sein Sohn Udai sadistische Verbrecher waren. Erst als Saddam nicht mehr so zuverlässig als Verbündeter war, wurde er gehängt.

Taliban? Waren zur Zeit der russischen Besetzung in den USA Verbündete und wurden mit Waffen, Logistik und Ausbildern versehen. Von Saudi-Arabien verstärkten Söldner das Kontingent. Bis zum 11.9.2001.

Um genau das zu verhindern, wurde die UNO gegründet. Ziel war – eigentlich – die gleiche Behandlung aller Länder, ungeachtet ihrer Größe und ihres Ansehens. Und doch konnten über Jahrzehnte die widerlichsten Diktatoren in Afrika wüten, geschützt von den USA, die den Diktatoren die Bodenschätze abkauften. Die Geschichte der Blutdiamanten ist herzzerreißend.

Und jetzt die neue Tonart gegenüber der UNO. Es ist bekannt, dass die NSA auch die UN-Vertretungen ausgeforscht hat, entgegen aller völkerrechtlichen Verträge. Gerade die UNO war durch ein großes Geflecht derartiger Verträge *eigentlich* vor diesen Spionageaktionen geschützt.

Und jetzt Syrien. Die UNO-Inspektoren haben das Land heute morgen verlassen. Derzeit weiß man nach wie vor nur, dass Giftgas geworfen wurde. Noch nicht einmal genau welches, es war wahrscheinlich Sarin. Doch sicher weiß man es erst, wenn man die Proben analysiert hat.

Die Kriegsrhetorik aus Washington ist derzeit ungebremst und wird bewußt stündlich eskaliert. Ziel ist es wie damals im Irak, einen „Point of no return“ zu erreichen, bei dem ein Militärschlag erfolgen muss, weil die US-Administration sonst an „Gesicht“ verliert.

Die vorgelegten „Beweise“ sind lächerlich. Ein angeblich abgefangener Funkspruch, das Versprechen des Mossad, diesmal wäre das aber alles wahr, was man erzählt und viele schöne bunte Karten und Folien. Handfestes? Nichts. Mit den „Beweisen“ würde man hier noch nicht mal ein Bußgeld für zu schnelles Fahren verhängen.

Man bringt sehr viele Beweise dafür vor, dass Gas geworfen wurde. Aber das wird ja von keinem ernsthaft bestritten. Man weiß auch, dass viele Kinder umgekommen sind. Und jedes einzelne ist eins zuviel.

Man weiß nur nach wie vor nicht, von wem. Es können nach wie vor die Rebellen gewesen sein, deren Gründe sehr viel stichhaltiger sind als die von Assad. Aber es wird *nur* geprüft, ob Assad die Bomben hat und ob er sie werfen könnte. Die Rebellenarmee, die von einem ehemaligen General geführt wird, der die Bunker kennt, wo die Gasgranaten lagern und der inzwischen auch über genügend Uniformen der Gegenseite verfügen sollte, wird nicht erwähnt.

Das ganze „Beweisdokument“ ist eine krude Ansammlung von Schlüssen, die man aufgrund von Tatsachen gezogen hat, die selbst mir bekannt sind. Und DAFÜR geben die Amerikaner nun 52 Mrd. Dollar jedes Jahr aus? Das Dokument hätte ne demente Karotte besser schreiben können. Sämtliche Beweise, die „Intelligence“ erhoben haben, gehen direkt auf die Rebellen zurück, die ein originäres Interesse daran haben, dass die USA Assad entscheidend schwächen.

Um sich selbst zu rechtfertigen, schickt Obama John Kerry vor, der eigentlich ein ausgewiesener Pazifist und Kriegsgegner ist. Er ist moralisch weniger angreifbar als der Drohnenkrieger Obama oder auch der Verteidigungsminister Chuck Hagel. Wenn selbst Kerry für einen Militärschlag ist, der keine Militärschläge mag, dann muss doch bestimmt was dran sein an den Vorwürfen, richtig?

Versteht mich nicht falsch: Ich will die Verbrecher im Knast sehen, die das gemacht haben. Aber ich will die richtigen Verbrecher dafür im Knast sehen, nicht die, die die Amerikaner gerne als Verbrecher hätten.

Es gibt derzeit nur einen Grund, warum das US-Militär nicht mal eben ein paar Hundert Cruise Missiles auf Damaskus geworfen hat: Weil sie nahezu völlig isoliert sind. Eine Legitimation durch die UNO ist ausgeschlossen, was bereits dazu geführt hat, dass von US-Seite die UNO an sich in Frage gestellt wurde. Eine Legitimation des Militärschlags durch die NATO wurde ebenfalls strikt abgelehnt.

Frankreich und die Türkei sind derzeit die Verbündeten der USA für einen Militärschlag, nachdem das britische Unterhaus Premier Cameron ganz übel hat auflaufen lassen. Cameron ist so stark geschwächt, dass es meiner Meinung nach eng wird dass er überhaupt bis zu den Wahlen noch im Amt bleiben kann.

Deutschland beteiligt sich nicht und an der Stelle ausnahmsweise mal Gratulation an Frau Merkel für die weise Entscheidung und die Bitte an den Grünen Daniel Cohn-Bendit, sich doch bitte aufs Altenteil zurückzuziehen und den Mund zu halten. Aber die Zeiten sind offenbar endgültig vorbei, nach denen die Grünen die Friedenspartei waren.

Die Allianz aus Frankreich, USA und Türkei reicht nicht aus, um deinen Angriff zu legitimieren. Auch das Versprechen von Obama, dass er ganz bestimmt nur ein paar Bomben wirft und dann wieder brav ist, führt nicht dazu, dass die anderen Mitglieder im Sicherheitsrat weniger skeptisch sind.

Zu sehr gleichen sich die Szenarien vor dem Irakkrieg und jetzt, lediglich die Hauptdarsteller sind ausgetauscht.

Die USA werden zuschlagen. Sie haben sich rhetorisch inzwischen so weit aus dem Fenster gelehnt und die Rhetorik wird mit jeder Stunde, wo die Leute den Kopf schütteln und fragen, was der Mist denn eigentlich soll, verzweifelter. Es wird mit Unausweichlichkeiten argumentiert, mit gesundem Menschenverstand wo man Beweise bräuchte – und es wird eskaliert, wo man sich doch eigentlich ruhig zurücklehnen könnte und sagen: „Och jo. Lassen wir die Inspektoren mal machen“.

Aber das würde sich nicht mit Amerikas Selbstverständnis decken, dass sie die Weltpolizei sind und entscheiden, wer wann und wie bestraft wird. Washington glaubt offenbar, dass die Regeln der UNO für alle anderen sind.

Aber wer sich zu hoch über Recht und Gesetz erhebt, wird irgendwann überziehen. Und der Fall wird tief sein.

Syrien könnte hier zum Scheideweg werden.

Veröffentlicht am 31. August 2013, in Außenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 11 Kommentare.

  1. ein anderer Stefan

    Die USA brauchen dringend wieder eine Rechtfertigung für ihren „War on Terror“. Afghanistan zieht nicht mehr, der Iran ist noch nicht sturmreif, auf Nordkorea hat China den Daumen drauf. Also haben sich die Terrorstrategen gedacht, Mensch, da in Syrien läuft doch seit zwei Jahren ein Bürgerkrieg, den wir bisher nur so indirekt angeheizt haben, da könnte man doch mehr draus machen – und nebenbei zeigen wir dann gleich mal, wie wichtig die Geheimdienste sind, um von dieser blöden Snowden-Geschichte endlich mal wegzukommen. Und wenn wir die Russen düpieren – so what, wir sind stärker.

    Sorry, aber den amerikanischen und britischen Diensten traue ich mittlerweile alles zu, um ihre Selbstrechtfertigung zu erhalten. Dass die USA auf Menschenrechte und UN-Konventionen scheißen, wenn es ihnen in den Kram passt, haben sie ja hinlänglich bewiesen. Sich jetzt als Hüter der Weltmoral aufzuspielen ist so derart scheinheilig, dass mir dazu nichts mehr einfällt. Das ist auch völlig unabhängig davon, wer nun tatsächlich das Giftgas eingesetzt hat. In Syrien sind auf beiden Seiten so viele zynische Mörder am Werke, dass es keinen Giftgasangriff bräuchte, wenn man tatsächlich aus Sorge um die Menschen eingreifen wollte.

  2. ein anderer Stefan

    P.S.: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir den Fall der USA noch erleben. Nicht, dass ich ihnen das wünschen würde. Aber immer neue Konflikte, immer brutalere Aktionen und wachsende Rücksichtslosigkeit gegen alle Gegner scheinen mir Verfallserscheinungen einer staatlichen Ordnung zu sein. Der Rechtsstaat wird zur leeren Hülle, und diese fällt irgendwann in sich zusammen.

    • Ich würde UNS das vor allem nicht wünschen. Ein Fall der USA würde bedeuten, dass DIE in die Diktatur fallen. Und dass die offen faschistoid werden.

      Und was das bei jemandem mit DEM Atomwaffenarsenal bedeutet muss ich keinem erklären oder?

      • ein anderer Stefan

        Tja…
        Auf dem Weg zu einem totalitären Staat sind sie ja schon ein Stück vorangekommen, würde ich sagen. Bisher ermorden sie (soweit man weiß) nur Ausländer und foltern sie und stecken sie in Foltergefängnisse, brechen Kriege vom Zaun, so lange es ihren Interessen nützt, bombardieren die, die sich gerade als Ziel gut machen, setzen ihre Verbündeten unter Druck und spionieren sie aus. Wann die Schrauben gegen die eigene Bevölkerung und gegen die Verbündeten fester angezogen werden, wird man sehen. Ich habe die Amis, die meinen, dass sie Waffen brauchen, um im Zweifel gegen ihre Regierung vorgehen zu können, bisher für völlige Spinner gehalten. Spinner sind sie immer noch – weil sie glauben, mit Handfeuerwaffen was ausrichten zu können…

        • Ähem, nicht ganz.

          Chelsea Manning WURDE gefoltert.

          • ein anderer Stefan

            Ja, Du hast recht. Wir hatten ja auch schon mal festgestellt, dass die USA kein Rechtsstaat mehr ist – das Beispiel Manning zeigt das ja ganz deutlich.
            Und in Großbritannien sieht es wohl nicht viel besser aus, siehe die Zerstörung bei The Guardian.
            Moralisch können die beiden Länder kaum tiefer fallen, wobei das britische Unterhaus diesmal immerhin genug Arsch in der Hose hatte, Cameron auflaufen zu lassen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

            • Wenn ich richtig informiert bin, so könnte sich Cameron auch über den Beschluss des Parlamentes hinwegsetzen.
              Das wäre nicht unbedingt schlau, aber hey, er ist schließlich auch nur n Brite 😉

  3. Meiner Ansicht nach, werden die USA nicht fallen, denn da ist nichts mehr, was fallen könnte. Die USA sind de facto ein Unrechtsregime, das sich über geltendes Recht, national wie international hinwegsetzt, die Verfolgung von Kriegsverbrechern in den eigenen Reihen verhindert und weiterhin ungeniert Krigesverbrechen begeht.
    Das einzige was alle anderen daran hindert, den Amis „n paar aufs Maul“ zu geben, ist die Tatsache, dass die Amis ziemlich fies werden können, wenn man sie ärgert.

  4. Netter Text, aber wieso sollten die USA „da unbedingt rein“ wollen?
    Das gibt Zoff mit der eigenen Bevölkerung und kostet viel Geld. Außerdem könnte dann Israel auf dumme Ideeen kommen.
    Nach dem Giftgaseinsatz kam aus allen Ländern die Forderung Syrien jetzt die Grenzen aufzuzeigen. Hier wurde sich rethorisch zu weit aus dem Fenster gelehnt und dann mussten alle feststellen, dass eigentlich keiner weiß was man den nun machen könnte.

    Und sturer Antiamerikanischmus bringt auch keinen weiter. Keiner von uns wird alt genug um die USA fallen zu sehen.

    btw: Nordkorea geht den Chinesen auch auf den Keks aber man greift es aus Vernunft nicht an. a) Die Bevölkerung ist seit Jahrzehnten ideologisch abgerichtet und würde sich nicht befreit fühlen sondern sich verteidigen. b) Es wäre kaum vermeidbar, dass Seoul einiges abbekommt da es zu nahe an der Grenze liegt. c) Der wirtschaftliche Schaden für Korea würde den gesammten asiatischen Raum runter ziehen.

    • „Keiner von uns wird alt genug um die USA fallen zu sehen.“

      Ich weiß nicht, wie weit du sie noch fallen sehen möchtest – denn viel tiefer als jetzt geht es meiner Ansicht nach nicht mehr.

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