Der Tag der deutschen Einheit
Ich hab jetzt seit Tagen versucht, eine Retrospektive zu schreiben. Es ist mir nicht gelungen, das, was ich schreiben will, genauso auszudrücken, wie es mir im Kopf schwebte, die Textaussage zu greifen. Und dann fliegt bei Facebook der Text vom Wortvogel an mir vorbei – und ich finde mich und meine Erfahrungen in jedem einzelnen Wort wieder.
Chapeau. Genau so war es. Die damalige Stimmung unserer Generation (ich dachte echt, Torsten Dewi wäre ca. 10 Jahre jünger als ich *g*) genau erfasst.
Und er hat eine Frage gestellt, die ich mir auch immer wieder stelle. Nicht nur am 3.10. sondern immer wieder.
War es das wert?
Ehrlich gesagt, wenn man alle Aspekte mit einbezieht – ich weiß es nicht.
Veröffentlicht am 3. Oktober 2013, in Innenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 9 Kommentare.
Deutschland ist geteilt. In arm und reich.
Für mich war und ist die Wiedervereinigung Deutschlands eine der Gründe, warum ich stolz bin deutscher zu sein. Ich kann dem Text von Wortvogel so nicht zustimmen. Es gibt in allen Teilen Deutschlands Gebiete in denen es besser läuft und welche in denen es schlechter läuft. Das kann man wenn man will in Ost und West unterteilen, geht aber genau so gut mit Norden und Süden.
Ich denke hier sind wir doch etwas weiter auseinander.
Grüße
Ja und nein. Und ja, da sind wir möglicherweise etwas weiter auseinander. 😉
Aber das, was er beschreibt, war auch genau das, wie ich das damals erlebt habe. Für mich war die DDR nie ein Teil Deutschlands sondern immer ein eigenständiger, etwas seltsamer Staat. Ich bin 1969 geboren, da stand die Mauer schon ein Weilchen.
Und es wurde damals im Goldrauschfieber, als der Ausverkauf der DDR wie im Ramschladen stattfand, vergessen, dass da noch Leute leben…
Oder wir nicht Arm, Faul oder zum s****ß*n zu blöd waren. Die DDR hat viel auf die Beine gestellt zumal die Wiedervereinigung der zweite Ausverkauf war da im Gegensatz zum Westen Russland hier nach dem Krieg sehr viel mitgenommen hat.
Wir hatten auch devisen mit irgendwas wurden ja schließlich die hinter der Mauer gefertigten Billy-Regale bezahlt. Auch Praktika Kameras mit Objektiven aus Görlitz wurden im Westen als Revue nachgebaut.
Von der (alkohol) Chemie muss ich nicht erst anfangen wo es durch mangel an Metallen viele Fortschritte gab um einen Ersatz (siehe trabi karrosserie) bereitzustellen.
Der Osten war anders orientiert als der Westen was die Wirtschaft anging würde ich frech behaupten wollen.
…. grain of salt ich bin erst Jahrgang 87 und habe nur den Ausverkauf und die Stories meiner umgebung mitbekommen.
„Wieder“-vereinigung würde ich auch nicht sagen wollen, weil über vierzig Jahre ne ordentlich lange Zeit sind, aber wenigstens ist die Mauer wech.
Und wenn einer über Ossis oder Wessis herzieht, ist das genauso, als wenn einer über Bayern oder Ostfriesen Witze macht – halb so wild.
Was mich ein wenig enttäuscht, ist die Tatsache, dass im Osten immernoch weniger bezahlt wird, als im Westen.
Und dass der Soli noch immer erhoben und nicht für das benutzt wird, wofür er erhoben wird, das ärgert mich.
😀
Als die DDR zusammenkrachte war ich grad Anfang zwanzig und wohnte im Harz. Hochharz, aber vor allem: Westharz. Ich erinnere mich an das ungute Gfeühl, als die Stimmung immer höher kochte und keiner wusste: Wird es in Gewalt enden? Werden die Montagsdemos zusammengedroschen werden … oder gar schlimmeres? Und dann auf einen Schlag: Grenze ist offen, der Letzte macht das Licht aus und irgendwie waren alle unglaublich erleichtert.
Nicht wegen der möglichen Wiedervereinigung und wegen dem „einen Volk“, sondern weil die ganze Sache wider ziemlich vieler Befürchtungen gut ausging. Immerhin, die meisten die da standen und jubelten waren im Kalten Krieg groß geworden und hatten ihre Pubertät zu einer Zeit verbrecht, wo es nicht so wahnsinnig unwahrscheinlich war, das um Mitternacht die Sonne aufging. Unsere Lehrer haben im Unterricht mit uns „Die letzten Kinder von Schewenborn“ gelesen und auf den Friedensdemos hast du regelmäßig das halbe Lehrerzimmer getroffen (IGS … na schön: Das ganze Lehrerzimmer ^^). Der Scauer der uns durch die Knochen ging hatten nicht viel damit zu tun, das wir nun alle so wiedervereint waren, das war die schiere Erleichterung „Es ist alles gut gegangen, niemand hat auf den roten Knopf gedrückt und es wird ständig unwahrscheinlicher, das dies noch passiert“.
Später kam der ganze Rest.
Die Erkenntnis, WIE gnadenlos übel die Wirtschaft in der DDR wirklich dastand und wie unbedingt Kohl seinen Platz in der Geschichte wollte. Auf Ostseite die Erkenntnis, was eigentlich ein Wahlversprechen ist und wie groß die Chancen sind, das sowas eingehalten wird. Schöner Kommentar meines Großonkels: „Mir hatten doch nüscht – nicht einmal Wahlversprechen!“
Dann das zusammenprallen zweier Kulturen: Die eine, die grade feststellte, wie übel man ihnen mitgespielt hatte und die sich einer gigantischen Aufarbeitungsarbeit gegenübersah und das in Zeiten wo einem die komplette bisherige Lebensgrundlage um die Ohren flog, auf der anderen Seite eine Gesellschaft die sich um merkwürdige Dinge Sorgen machte. Umwelt. Regenwald. Wo bekomme ich vernünftiges Sushi her? (Ende der Achtziger/ Anfang der Neuziger war auch die hohe Zeit des Zeitgeistes und Tempo war mehr als ein Taschentuch).
Fahrten in den Osten waren damals noch echt abenteuerlich. Und ohne gute Federung auch nicht sehr nett zum verlängerten Rücken … Städte wie Halberstadt sahen aus, als wäre die letzte Bombennacht vorgestern gewesen und hier im Harz verkleideten sich einige Leute als Hexen und Teufel und eroberten ihre alte Hohheit über den Brocken zurück. Die dort stationierten sowjetischen Soldaten dachten sich vermutlich „Die spinnen, die Deutschen“ und verschacherten alles was nicht niet und nagelfest war gegen Westwährung und Wodka, festen Wechselkurs gab es da nicht. Der Ostharz entdeckte das wahre Wunder des Westens für sich: Den heiligen Baumarkt und es verging gar nicht viel Zeit, da hatten die aus dem verwurmten Etwas den Tourismus neu aus dem Boden gehext. An anderen Ortensah es für den Osten mieser aus, da blutete er aus, bis das Leben wegwanderte und leeres Land hinterließ.
Irgendwann war der Rausch vorrüber und der Hangover setzte ein. Derzeit sind wir noch mächtig dabei Aspirin zu schlucken und haben angefangen die Scherben wegzuräumen. Im Klo lauert noch was ekliges, über das wir im Augenblick noch nicht nachdenken wollen und wer der Typ auf der Gästecouch ist der penetrant pennt wissen wir noch immer nicht. (und warum ihm ein Fännchen im Hintern steckt wissen wir auch nicht, er selbst vermutlich auch nicht). Aber Teile der Bude sind wieder betretbar.
Und genau da stehen wir: Mitten in der Entwicklung. Wird das ganze jemals zu „ein Volk“ werden? Vielleicht, aber auch nicht tragisch wenn nicht, die Deutschen als ein Volk ist eine eher moderne Erfindung und nebenbei gesagt: Da hatten wir aber schon bessere Ideen.
Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen, das Zonenrandgebiet war nicht weit weg. Nach Berlin bin ich vor der Wende ein paar Mal gefahren und fand diese Grenzkontrollen schon immer fürchterlich – Einschüchterungstaktik pur. Ein deutscher Staat statt zweien war für mich eine Utopie, als ich aufwuchs.
Ich war 89/90 beim Bund (also der Bundeswehr), und da gab es dann so Übungsszenarien wie „Rotland marschiert in Orangeland ein, und Blauland kommt Orangeland zur Hilfe“. Welche Länder sich da in der Realität hinter versteckten, ist wohl nicht so schwer zu raten. Das größte Wunder ist immer noch, dass das alles ohne Blutvergießen abging. Wenn ich eine Aufzeichnung der Szene sehe, bei der Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag stehe, kriege ich heute noch Pipi in die Augen.
Wer das Repressionssystem der DDR abtut, dem empfehle ich einen Besuch in Bautzen oder einer Stasi-Gedenkstätte anderenorts. Das war zwar vielleicht weniger mörderisch als in anderen Diktaturen, aber das Klima der Angst, der Repression und der systematischen Zerstörung von Menschen kann man sehr gut nachvollziehen. Ich wohne in Dresden, die Stasi-Gedenkstätte hier (in boshafter Ironie an der Bautzner Straße gelegen) ist ein schauerlicher Ort, an dem man sehen kann, wie die Stasi funktionierte.
Dass Kohl gelogen hat, als er sagte, die Einheit kostet uns keinen Pfennig, war klar, wenn man nach 1989 mal rübergefahren ist. Ich hatte Anfang der 90er ein paar Mal das Vergnügen. Ich denke, die Stimmen, die da sagen, die DDR wäre so oder so bald zusammengebrochen, haben nicht unrecht. Mir erzählte neulich ein Unternehmer, der schon vor 1989 in der DDR war, dass er im Frühjahr 89 in Dresden zufällig BauLKW aus Hamburg sah, die das Straßenpflaster aufluden. Auf die Frage, was damit würde, kam die Antwort, dass die DDR ihr Straßenpflaster gegen Devisen in den Westen verkaufte. Wündern würde mich so etwas nicht.
Im übrigen ist zwar seit 1990 viel passiert im Osten, aber sogar in einer Stadt wie Dresden gibt es noch Ruinen und Brachen, entweder noch aus Kriegszeiten oder weil der Sozialismus dort „geherrscht“ hat. Ich denke, es braucht 40 Jahre, um die Schäden aus 40 Jahren DDR zu beseitigen – mindestens. Ich habe eine Reihe von Kollegen, die schon immer hier leben – die sind froh, dass der Sozialismus Geschichte ist, aber denen ist auch klar, dass die DDR mehr oder weniger über den Tisch gezogen wurde. Der Westen hat den Laden einfach übernommen, das war keine Wiedervereinigung.
IMHO hat man nach der „Wiedervereinigung“ auf das falsche Pferd gesetzt; man hätte mal schauen können, wie die gewerbliche Struktur in den „neuen“ Ländern vor dem Krieg war und ggf. daraufhin arbeiten können, diese Struktur wiederaufzubauen. Insbesondere hätte man aber die vorhandenen Betriebe nicht einfach so verscherbeln dürfen, sondern mit Hilfe eines Übergangsprogrammes langsam fluffig machen können für den „gnadenlosen Weltmarkt“, da wäre auch nicht mehr Geld vom Staat geflossen.
Und auch die Infrastruktur in Form von Straßen, Stromleitungen etc. hätte eine erhöhte Priorität erhalten müssen; und da spreche ich nicht von Prestigeprojekten wie Autobahnen mit 1000km Tunnellänge oder Eisenbahnstrecken mit ebensolchen Tunneln.
Und zu guter Letzt, sicher nicht das unwichtigste an der ganzen Sache, hätte man den, verzeiht mir diesen den Ausdruck, _Ossis_ nicht das Gefühl geben dürfen, nur unproduktive, wertlose, geistig minderbemittelte Stasi-Mitläufer zu sein.
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