Wenn der Verstand herunterfährt
Als ich noch zur Schule ging, war ein Standardsatz, der mir in Volkswirtschaftslehre eingehämmert wurde: Staaten können nicht pleite gehen.
Tjo, sieht so aus, als könnten sie es doch.
Government shutdown in den USA. Ich hab das verfolgt und mal geguckt, wie das rezipiert wird. Kein einziges Medium fragt noch, wie es sein kann, dass ein *Land* also eine in sich geschlossene Gesellschaft, pleite gehen kann als wäre es eine Firma. Das wird hingenommen, irgendwie scheint jeder verinnerlicht zu haben, dass man Länder wie Firmen führen kann und muss.
Vor allem die liberalen TeaParty-Anhänger, für die alle staatlichen Eingriffe ein Greuel sind, können jetzt mal aus erster Hand erleben, was es bedeutet, wenn es keine staatlichen Eingriffe mehr gibt. Das ist es ja, was sie wollen, was sie wünschen. Denn das darf man ja nicht vergessen: Liberale im Ursprungssinne sind diejenigen, die staatliche Eingriffe auf das Minimum reduzieren wollen. Im Gegensatz zu den Konservativen, die genau diese Eingriffe aus einem Patronatsgedanken maximieren wollen (kurz und laienhaft ausgedrückt, sehts mir nach).
Und was bedeutet das für die Menschen dort?
Das versuche ich gerade herauszukriegen. Ich telefoniere momentan viel mit meinen Freunden dort. Es sind ja nicht nur die Nationalparks, die geschlossen sind oder die Museen. Die Essensmarken zum Beispiel. Die Entwicklung, die hier erst am Anfang steht, Merkel sei Dank, ist dort schon viel weiter fortgeschritten und es lohnt sich, dort mal genauer hinzugucken. Obwohl sich der Arbeitsmarkt in den USA sich erholt hat, sind 2013 fast 70% mehr Menschen auf die Essensmarken angewiesen gewesen als noch 2008. Inzwischen brauchen 47 Millionen Menschen diese Marken.
Was wird aus diesen Menschen, wenn die staatlichen Stellen die Gelder nicht nachzahlen? Was wird aus den Menschen, wenn sie nicht mehr genug zu essen haben?
Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Die USA sind bereits das Land, dass pro Einwohner die höchste Rate an inhaftierten Menschen hat, ein Umstand, der vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass nur volle Privatknäste Profit für Investoren abwerfen. Wenn jetzt die Essensmarken ausbleiben und die Leute nicht mehr wissen, wie sie trotz mehrerer Jobs ihre Kinder sattkriegen können, kann man ja mal 1 +1 zusammenzählen um zu wissen, was dann passiert.
Und angesichts dieser sich anbahnenden Tragödien benehmen sich die Republikaner und hier vor allem die TeaParty-Mitglieder wie der dreijährige, der im Supermarkt seinen Lolly nicht bekommt und komplett austickt. „Nein, nein, nein, ich will das nicht, ich mach das nicht. Ich will JETZT meinen Lolly“ *brüll*
Und die Eltern stehen hilflos daneben und fragen sich, was denn jetzt schon wieder in Junior gefahren ist.
Wir können die USA nicht ändern. Der Kurs steht fest, die Frage ist jetzt nur, wie weit sie diesen Kurs jetzt verfolgen und ob sie ihn bis zum Ende gehen, der da lautet: Staatsbankrott und völliger Zerfall auch der letzten gesellschaftlichen Strukturen.
Ich glaube nicht, dass die TeaParty-Mitglieder des Kongresses das wollen. Ich glaube aber auch, dass sie nicht in der Lage sind, diese Konsequenzen zu verstehen. Denn sie sind völlig fixiert auf ihre Wähler, die sie wiederwählen sollen. Und daher gucken sie auch nur, was für *ihren* Wahlkreis gut ist, welche Wohltaten sie für ihren Wahlkreis herausschlagen können. Das große Ganze geht ihnen völlig wo vorbei.
Es ist vielleicht ganz gut, dass es jetzt zum Knall und möglicherweise auch zum Zusammenbruch der USA. Aus den Trümmern können die Überlebenden vielleicht wieder ein lebenswertes Land basteln.
/edit das Video existiert nicht mehr, ich habs rausgenommen.
Veröffentlicht am 9. Oktober 2013, in Außenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 19 Kommentare.
Ich glaube, das viele Staaten weniger Schulden hätten, wenn man die Staaten sich Ihre Schulden gegenseitig gegenrechnen lassen würde. Das lassen die aber nicht zu, weil jede Schuld, wenn ich das richtig verstanden habe, Geld ist, das generiert wird, obwohl es eigentlich nicht existent ist, also „gedrucktes“ Geld ist.
Die Schulden sind doch bei Privatbanken? Da kann man nichts gegenrechnen in dem Sinne.
„Aus den Trümmern können die Überlebenden vielleicht wieder ein lebenswertes Land basteln.“
Oh, Tante, das war aber böse.
…
Und so wahr. -.-
Nein, so lange die sogenannten Sicherheitsbehörden das Sagen haben, wird das kein besseres Land werden – diese sind ja (wie überraschend) von dem Haushaltsstopp weniger betroffen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn viele dieser sogenannten Politiker persönlich davon profiteren, wenn das Geld dann wieder fließt – es muss ja irgendwoher kommen, und je mehr Geld ich in kurzer Zeit brauche, umso höher werden die Zinsen. Weiß ich zwar nicht, aber die irrationale Art, wie hier ein Land an die Wand gefahren wird, läßt mich vermuten, dass da noch andere Motive eine Rolle spielen als den ungeliebten, demokratischen, schwarzen Präsidenten zu demontieren.
Wahrscheinlich müssen erst ein paar tausend Amerikaner verhungern, bevor jemand merkt, dass es so nicht geht….
Gibt es. Es geht tatsächlich um die Krankenversicherung für alle. Um nichts anderes. Für die TeaParty ist das ein Eingriff in die Freiheit der Menschen, wenn die schließlich ne Krankenversicherung wollen, dann sollen die gefälligst selbst entscheiden. Okay, manche können die vielleicht nicht bezahlen – aber dann brauchen die sich nur gesund ernähren und alles ist wieder in Butter, gelle?
Und wenn der eine oder andere stirbt, weil er die Behandlung nicht bezahlen kann, HEY – ein Schmarotzer weniger. Wenn er keiner wäre, hätte er ja eine Krankenversicherung.
Mit demontieren wollte ich mich u.a. auf die „sozialistische“ Krankenversicherung beziehen. Die vehemente Ablehnung hat was mit dem amerikanischen Mythos „jeder ist seines Glückes Schmied“ zu tun, der nur leider seit 100 Jahren überwiegend nur noch ein Mythos ist. Ausnahmen (wie Obama selber) bestätigen die Regel, dass es eben nicht mehr funktioniert. Die Situation insbesondere junger männlicher Schwarzer ist hinlänglich bekannt, ich behaupte mal, dass über 90 % von denen keine reele Chance haben, sozial aufzusteigen. In der Politik (nicht nur) der USA mehren sich die Erbhöfe, sprich, es sind quasi feudale Entwicklungen zu beobachten, dass manche Familien über Generationen in die Politk involviert sind (Kennedy, Bush). In einer solchen Situation haben es Aufsteiger umso schwerer, da die bestehenden Netzwerke natürlich kein Interesse daran haben, Außenseiter zuzulassen. Und diese Netzwerke haben auch kein Interesse an Veränderungen, die ihnen oder ihrer Klientel schaden könnte – eine allgemeine Krankenversicherung würde den Versicherungesunternehmen ein Stück ihres lukrativen Marktes nehmen.
Ich bin schon länger der Meinung, dass sich in den noch leidlich funktionierenden Demokratien unter der Ideologie des Neoliberalismus zunehmend neofeudale Strukturen entwickeln. Es ist ja auch in den Medien immer mal wieder von Pfründen, Kronprinzen oder Landesfürsten die Rede – das ist für mich langsam keine Ironie mehr. Nepotismus, wie in einem jüngeren Beispiel Niebel mit der FDP im Entwicklungshilfeministerium, ist ja auch keine unbekannte Erscheinung.
Bei uns ist der Abgeordnete laut Gesetz nur seinem Gewissen verpflichtet – der Fraktionszwang ist aber die Einforderung von Gehorsam. Loyalität gegenüber der Partei, durchaus auch gegen das eigene Gewissen klingt für mich sehr nach Lehenseid (ich will hier nicht das böse Wort vom Kadavergehorsom verwenden, aber es geht in diese Richtung). Vom Angestellten eines Unternehmens darf ich Loyalität erwarten, aber in der Politik sollte es eigentlich anders sein.
Zunächst einmal ist es selbstverständlich eine Mär, dass Staaten nicht pleite gehen können:
http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsbankrott
Es kam in der Geschichte, auch der jüngeren, öfters vor, dass Staaten nicht mehr zahlungsfähig waren.
Als nächstes würde mich mal interessieren, wie die Mitglieder dieser teaparty es fänden, wenn plötzlich alle staatlichen Subventionen, Straßenbau- und Infrastrukturprojekte, Forschungseinrichtungen etc. nicht mehr da wären.
Mich würde es außerdem interessieren, wieviele von denen, die Leute, die auf Essenmarken und staatliche Krankenversorgung angewiesen sind, als Schmarotzer bezeichnen, auch Geld vom Staat kassieren und vor allem, wieviel sie kassieren.
Ich wette, das eine solche Auswertung nicht nur für die USA interessant wäre 😉
Im übrigen scheinen die Herrschaften der teaparty das System „Kapitalismus“ nicht verstanden zu haben, welches nur funktioniert, wenn es immer mehr Schulden gibt, nicht nur, aber im besonderen des Staates…
Es besteht aber ein veritabler Unterschied zwischen einem Staatsbankrott und dem Bankrott oder der Insolvenz eines Unternehmens. Liquidier doch mal Athen. 😛
Was die TeaParty angeht: Treffer, Schiff versenkt. 😉
Dass es einen Unterschied zwischen einem Staatsbankrott und der Insolvenz eines privaten Unternehmens gibt, habe ich nicht bestritten 😉
Dennoch ist es so, dass Staaten pleite gehen können und dass dies auch schon vorgekommen ist; Athen, bzw. Griechenland (aber nicht nur diese) waren auch nicht weit davon entfernt, pleite zu gehen.
Obacht: Viele staatliche Leistungen – so wie wir sie sehen – werden in den USA in eigener Regie von den Bundesstaaten oder Kommunen erbracht. Die dort viel selbständiger sind als unsere Bundesländer, bis hin zu eigener Steuerfinanzierung. Und die sind davon nicht betroffen, jedenfalls nicht direkt. Dieser amerikanische Hass fokussiert sich brennglasmässig auf Washington.
Eine Kuriosität: Bei Umfragen gelten alle Politiker in Washington als völlig unfähig. Ausser dem eigenen Abgeordneten, der ist ok, und wird deshalb wiedergewählt.
*ganz leise flüster*
Das YouTube Video funktioniert nicht, ich hätte es gerne gesehen.
DANKE für deinen Blog, der alles mal aus einer andere Seite zeigt.
letztlich ist dieser government shutdown (auch) ein wunderbares Beispiel dafür. warum eine reine Ausrichtung auf „winner takes it all“-Sitzen im Parlament verheerend sein kann. Nicht nur, dass dies eine reine zwei-Parteien-Landschaft begünstigt (mit Tendenz zum Einparteienstaat), die Abgeordneten sind auch noch komplett abhängig von ihrer Wiederwahl und damit jeder auch noch so idiotischen Forderung aus „ihrem“ Gebiet (sofern sie nur den Eindruck haben, das könnte wahlentscheidend sein).
Das irre ist ja, dass die Republikaner ihren Tea-Party-Teil einfach ignorieren könnte bei dieser Abstimmung – aber zu viele haben wohl Angst, dass dann nächstes Mal ein Tea-Party-Anhänger parteiintern ihren Platz einnehmen.
So mies unser System ist – wir scheinen zumindest ansatzweise gelernt zu haben.
Oder wie mal jemand meinte: die US-Verfassung ist wie FORTRAN – entstanden als eine der ersten Ihrer Art mit vielen interessanten Konzepten. Allerdings konnten Andere sich das dann ansehen und verbessern…
Bei dem ganzen Theater im Repräsentantenhaus stellt sich mir eine Frage: Kann es sein, dass wirklich NUR dessen Sprecher Boehner das Recht hat, eine solche Abstimmung durchzuführen? Denn es scheint voll und ganz an ihm zu hängen, ob er eine Variante bringt, mit der auch ein paar moderate Republikaner (mit Arsch in der Hose) notfalls zurecht kämen. Aber da passiert nichts.
Ja, ist wirklich so. John Boehner setzt die Tagesordnung fest, das heißt, dass er derjenige ist, der entscheiden kann, was verhandelt wird und was nicht.
Darum steht der auch grad so unter Druck. Die TeaParty will nicht, dass er Obamacare auf die Tagesordnung bringt und Obama will, dass er das endlich tut.
Der steht mittendrin – aber die Erwägungen, nach denen die Entscheidungen getroffen werden, haben genau nichts mit der Sache zu tun sondern nur damit, ob und wie man wiedergewählt wird.
Es gibt in jeder Gesellschaft einen Bodensatz von Extremisten diverser Farben. Das besondere an der US-Konstellation ist, dass es aufgrund dortiger Besonderheiten beispielsweise im Wahlverfahren und den Abläufen des Repräsentantenhaus dieser Minderheit von Extremisten gelingt, sowohl die eigene Partei als auch den Staat zu erpressen.
Aber mach dir keine falsche Hoffnung, das wird nicht zum Zusammenbruch der USA führen. Auch dieses Thema in der Medien ausnahmsweise mal ähnlich wichtig zu sein scheint wie Miley Cyrus.
Wenn Politiker auf der Ebene von Kakerlaken landen, dann hat das auch etwas mit der Art des Wahlkampfs zu tun. In dem jeder den Konkurrenten als Kakerlake bezeichnet.
Ich will jetzt nicht so vermessen sein, den deutschen Wahlkampf als Idealbild hinzustellen (hat der überhaupt stattgefunden?), aber bei aller Langeweile ist hier zumindest eines Konsens: Wer den Anderen runtermacht fliegt selbst.
Sehr interessant, aber eine Bitte habe ich dann doch: Bitte, bitte nicht Liberale mit Libertären (=Tea Party, FDP, „Neoliberale“) in einen Topf schmeissen.
Wir bräuchten ganz dringend mal wieder ein paar gestandene Verfassungsliberale, die unser Grundgesetz und den liberalen Rechtsstaat zu seinem Recht verhelfen und auch ganz viele Sozialliberale, die die ekelhaften Auswüchse des Spätkapitalismus bekämpfen.
Das freie Bürgertum, der Wohlfahrtsstaat, Gewaltenteilung, der Schutz des Bürgers vor dem Staat, Chancengleichheit, das Recht auf Privatspäre und allgemeine Bildung oder auch z.B. die Idee des Genossenschaftswesens usw. usw. sind alles liberale Ideen und Errungenschaften.
Das hat mit den Perversen, die sich heute als „liberal“ bezeichnen, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die sind libertär und predigen die totale Verantwortungslosigkeit und wünschen sich eine Welt, in der jeder sich selbst der Nächste ist.
Da hast Du recht und das auch treffend zusammengefasst. Dass die Liberalen mal für Bürgerrechte standen und auch eintraten, ist lange her. Heute ist liberal=wirtschaftsliberal oder sogar marktradikal.
„Vor allem seine zweite Hälfte soll deutlich kälter werden als normal, gibt Wetterexperte Dominik Jung von wetter.net den Langfristtrend der amerikanischen Meteorologen wieder.“ Ein Metereologe hat mal gesagt: ´Wenn man im Europa lachen will, schaue man sich die Langzeitprognosen der Amerikaner für Europa an! Wenn man in Amerika lachen will, schaue man sich die europäischen Langzeitprognosen für Amerika an!´ Soviel für mich dazu…
…Und dass es im Winter kalt ist, scheit, und manchmal sogar ein See zufriert, überrascht gerade Deutschland jedes Jahr aufs Neue. Ich bin der Meinung, man sollte die Jahreszeiten doch mal besser organisieren! 😀