Das zweischneidige Recht, vergessen zu werden


Das Internet mutiert immer häufiger zu einem öffentlichen Pranger. Ob es nun selbsternannte Watchlists sind, ein ziemlich abstoßendes Beispiel ist hier www.stopgrbullies.com – die Seite macht exakt das, was sie zu bekämpfen vorgibt – oder ob es eben Suchmaschinen sind:

Was einmal im Internet ist, bleibt sichtbar, für alle Zeit.

Das aktuelle Google-Urteil sollte hier einen Riegel vorschieben und dem Recht auf vergessen wieder mehr Geltung verschaffen.

Geklagt hatte ein spanischer Hausbesitzer, dessen Name nach gut zehn Jahren immer noch im Zusammenhang mit finanziellen Schwierigkeiten bei Google auftauchte, was sich auch beruflich auf ihn auswirkte.

Natürlich kamen die ersten mahnenden Stimmen, die davon sprachen, dass dann auch Kriminelle ihre Namen „reinwaschen“ könnten. „PÄDOPHILE sind dann plötzlich wieder respektable Bürger“.

Genau.

Es gilt in Deutschland immer noch der Grundsatz: Strafe abgesessen, rehabilitiert. Dass die Realität oft anders aussieht – ja. Leider. Und Suchmaschinen helfen dabei, dass das nicht vergessen wird.

Und so haben, wenig überraschend, die ersten rechtskräftig verurteilten bei Google die Löschung der Einträge beantragt. Gut so. Wenn sie ihre Strafe abgesessen haben, ist erstmal nicht mehr anzunehmen, dass sie nochmal straffällig werden.

Wer dahinter den Versuch vermutet, die Einträge verschwinden zu lassen, damit man wieder einfacher Straftaten begehen kann, sollte an der Stelle wirklich seinen moralischen Kompaß neu justieren. Den rechtsstaatlichen gleich mit.

Aktuelle Fälle betrifft das Google-Urteil ja auch nicht. Die Richter bejahten einen Löschanspruch nach einem gewissen Zeitraum – der nicht in Tagen oder Monaten bemessen ist.

Aber: Das Urteil ist völliger Unfug. Aber aus anderen Gründen denn der der Strafverfolgung.

Das Netz ist dezentral. Das einzige, was man mit der Löschung der Sucheinträge erreicht, ist, dass *Google* einen nicht mehr auflistet. Das Originaldokument existiert nach wie vor, man kommt nur schlechter dran.

Und andere Suchmaschinen können das durchaus noch auflisten. Das Urteil betrifft ja nur Google. Und eine Meta-Suchmaschine wie Metager, die verschiedene Suchmaschinen abfragt, wird dann wahrscheinlich das inkriminierte Ergebnis doch wieder auswerfen.

Es *geht*. Man *kann* unerwünschte Inhalte aus dem Netz bekommen. Aber das ist eine fürchterliche Sisyphus-Arbeit. Eine Frau aus den USA hat es bewiesen. Von ihr wurden Bilder angefertigt, die ihren Missbrauch zeigten. Diese Bilder sind – natürlich – irgendwann ins Internet gewandert.

Sie hat *jeden* Besitzer zivilrechtlich verklagt, dessen sie habhaft werden konnte. Sie hat eine Menge Zeit, Recherche und Arbeit darauf verwendet und nicht wenig Geld. Und sie hat Erfolg gehabt. Ihre Bilder sind weitgehend aus dem Web verschwunden.

Es geht. Aber es geht nicht, ohne die Quelle auszutrocknen. Und die ist nun mal nicht Google, sondern die liegt immer irgendwo anders. Und solange es Freisprüche für Zeitungsarchive gibt, sind Siege wie der gegen Google leider Pyrrhus-Siege.

Veröffentlicht am 18. Mai 2014, in Mediales. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 15 Kommentare.

  1. Nein, es ist kein Unfug, auch wenn es nicht effektiv vehindert, das etwas gefunden wird, so ist es doch die Dokumentation einer Rechtsauffassung, und genau darum geht es es zunächst mal. Und genau das ist durchaus sinnvoll.

    Das wir weltweit mit einer sinnvollen Gesetzgebung WEIT hindert den Entwicklungen des digitalen Zeitzalters hinterhinken, ist klar. Umso wichtiger ist, dass hin und wieder Standpunkte klar gemacht werden.

    Bei der Geschindigkeit der technologischen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten (im Vergleich zur Geschwindigkeit z.B. seit der Wende zum 20. Jhdt) fürchte ich, dass auch bei allergrößter Anstrengung die diese Lücke zur Anpassung des geschriebenen Rechts nicht geschlossen werden kann, schon allein deshalb, weil diejenigen, die (noch?) berufen sind das zu tun, rein altersmäßig und was ihre fachlichen Kompetenzen und7oder den Willen zur Kommunikation mit denkompeteten Fachleuten betrifft, meilenweit von denen entfernt sind, die die technologischen Fortschritte entwicklen.

  2. Das Urteil ist Unfug. Denn: verurteilt wurde Google dafür, dass sie ein Dokument anzeigten. Dieses Dokument liegt bei einer Zeitung – öffentlich zugänglich. Diese Zeitung wurde als erstes von dem Spanier verklagt – und wurde freigesprochen.

    Es ist doch albern, die Originalquelle öffentlich zugänglich zu lassen und Suchmaschine zu verurteilen, dieses Dokument nicht mehr anzuzeigen. Alberner geht es meines Erachtens schon fast nicht mehr (gut, ein paar albernere Dinge fielen mir da schon noch ein).

    Ob es gut ist, dass ehemals Kriminelle sich auf Grund eines solchen Urteils reinwaschen können, beurteile ich mal nicht. Finde es allerdings wesentlich fairer und sinnvoller, dass dann auch die Polizei ihre alten Einträge diesbezüglich restlos löscht. Was ja dann doch das ein oder andere Mal vergessen wird.

    Und ein Hinterherhinken des Gesetzes bzgl. der Technologie rechtfertigt keineswegs sinnlose oder unsinnige Urteile.

    @Tanchen:
    Du hast da zum Schluß noch ein wenig Text nach dem Komma vergessen.

    • Gnaaaaaaaaaaaaaa….. sorry. wird nachgeholt.
      Der Browser ist mir beim Schreiben abgestürzt, eigentlich war der Text fertig. mpf.

  3. Ah ja,.
    Wie gut, dass ich meinen Kommentar vor deinem Text(ende) geschrieben habe 😉

    Für abstürzende Browser gibt es auch dafür/dagegen Plugins, die den Text wiederherstellen. Ich kenne aber keine Namen …

    • Normalerweise speichert WordPress ja die Textentwürfe, aber offensichtlich ist das Ding abgestürzt, bevor der gespeichert hat. *brummel*

  4. Du weißt doch – Schuld ist sowieso immer der, der vor dem Monitor sitzt … 😉

  5. „Wenn sie ihre Strafe abgesessen haben..“

    ich weiß nicht. Vielleicht wäre es weit besser, wenn wir (wir als Gesellschaft) endlich anerkennen, dass eine beglichene Schuld keine Schuld mehr ist.

    Freilich, einige Taten haben lebenslange Effekte für die Opfer. Der Täter täte gut daran, dies niemals zu vergessen.

    ….
    In jedem Fall ist es seltsam, die Erinnerung an ein Gerichtsurteil löschen zu wollen. Die Folgen, die das nach sich zieht, sind nicht abzuschätzen.

    So dürfte keine Datenbank für Gerichtsurteile mit Suchfunktion mehr existieren. Nur noch Fachleute könnten sich ein Bild von der Rechtsstaatlichkeit machen.

    Und der arme Spanier? Den Fall kennt nun Jeder. Genutzt hat es ihm nicht. Doch dem Politiker, der seine Weste reinwaschen will, der hat nun ein Mittel in der Hand.

    Was wäre mit dem absurden Fall, wenn der Richter genau dies im Kopf gehabt hätte? Er muss gewußt haben, dass es dem Kläger gar nichts mehr nutzt. Angenommen, der Richter würde dafür dann verurteilt und in ein paar Jahren… würde er die Geschichte fälschen.

    • Nein, würde er nicht. Weil die Originaldokumente trotz dem Urteil ja nicht aus dem Netz sind.

      Sie sind nur etwas schwerer aufzufinden.

      Das ist ja das bescheuerte: Es bringt für niemanden was. Die Suchmaschinen bereinigen ihre Datenbanken – ja und?

  6. „nur schwerer aufzufinden“

    ja genau. Die NSA, die Polizei, die staatlichen und nicht staatlichen Datenbanken, die werden gar nichts vergessen. Bei der spanischen Schufa zum Beispiel dürfte der Fall des Spaniers sich noch länger auf die Kreditwürdigkeit auswirken. Selbst Google darf das nicht vergessen. Denn irgendwie müssen die ja wissen, was sie nicht anzeigen dürfen.

    Nur Du und ich, wir dürfen das keinesfalls wissen. Wir dürfen uns kein Bild machen. Geschichtsfälschung und Neusprech für Proles und die weiße Weste mit Persilschein für Politiker. Darf zum Beispiel eine Nazivergangenheit vergessen werden, weil es schon „so lange“ her ist?

    Es ist ganz einfach: Verletzt eine Internetpräsenz Persönlichkeitrechte, so gehört diese Präsenz gelöscht. Der Hinweis darauf kann jedoch niemals Unrecht sein.

    • Äpfel. Birnen.

      die Massenüberwachung hat mit dem Googleurteil erstmal überhaupt nichts zu tun, das ist ein völlig anderes Feld und MUSS auch in einen völlig anderen Kontext gesetzt werden.

      Die spanische Schufa hat ebenso wie die deutsche Löschvorschriften. Hält sie sich nicht dran, kannst du klagen. Das wird übrigens auch gemacht.

      Nochmal:
      WENN du das rauskriegen willst, solltest du nicht an Google gehen. Sondern an denjenigen, der das vorrätig hält.

      Google allein machts nur schwerer auffindbar *manta bet* – aber nicht unsichtbar.

      Und das Feld mit den Internetpräsenzen die Persönlichkeitsrechte in Anspruch nehmen, das ist an der STelle noch nicht mal ansatzweise beackert.

  7. Tante, Du sagtest: „Sondern an denjenigen, der das vorrätig hält.“

    Ganz genau. Das ist meine Meinung. Ich sagte nichts von Massenüberwachung und nichts von Löschvorschriften. Zugegeben, ich bin manchmal etwas komplizierter. Doch erkenne bitte Deine Freunde (und die darfst Du angehen, ist okay).

    Ich sage Dir jetzt freudig die drei „wunderbaren Worte“.

    D u h a s t R e c h t.

  8. Ist ja auch schön wer sich nach dem Urteil gleich darauf gestürzt hat vergessen zu werden:
    – Politiker die ihre „Fehltritte“ und Berichte über sie gern verschwinden lassen würden
    – Ärzte mit einer Geschichte von Kunst- und Behandlungsfehlern
    – straffällige Kinderschänder

    Dolle Wurscht liebes Gericht.

  9. Das ist ja auch nicht so ganz einfach. Wenigstens mit den Politikern könnte er Recht behalten. Und es droht noch mehr.

    Hier ist ein sehr sachkundiger Kommentar:

    https://netzpolitik.org/2014/kommentar-zum-eugh-urteil-vorrang-des-datenschutzes-vor-meinungs-und-informationsfreiheit/

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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