Leben ist das, was passiert, wenn man Pläne macht
Es gibt nicht viele Leute, die ich als „Freund“ bezeichnen würde. Gute Bekannte – viele, aber Freunde, die ich so nenne – das sind nur eine Handvoll.
Du gehörst dazu. Du wundervoll verrücktes Weib, du. Und ich will dir das hier jetzt schreiben – zu einer Zeit, wo du es noch lesen kannst.
Viel hast du eigentlich noch vorgehabt. Pläne gemacht, zusammen mit deiner Frau.
Und dann passiert das Leben.
Krebs. Diese verschissene Krankheit und dann auch noch in der Ausprägung, das es übler wohl nicht wirklich kommen konnte.
Jedes Wort deiner Nachricht wie ein Hammerschlag, mitten ins Gesicht. Der Gedanke: „Verdammt, nein. Das ist nicht fair.“ war vorherrschend. Du hast so viele Pläne, soviel vor und vor allem: Du hättest es so anders verdient gehabt.
Aber danach fragt das Leben nicht. Es fragt nicht, ob da jemand ist, der das lieber auf sich nehmen würde. Es wählt aus und nimmt. Ohne zu fragen. „Hätte es lieber anders gehabt“ kommt im Wortschatz nicht vor.
Die Traurigkeit darüber bleibt den Leuten vorbehalten, die dich kennen und lieben.
Katzenbilder willst du haben – und die werde ich dir schicken. Ich kann nicht mehr tun als die Ärzte tun. Und ich kann dir auch nicht mehr auf den Sack gehen als ich es ohnehin schon tue. Wahrscheinlich reagiere ich sowieso völlig falsch – aber andererseits: Wie reagiert man auf sowas richtig?
Du bist niemand, der dauergeknuddelt und in Watte gepackt werden will. Dein Leben war ruppig bis zuletzt – und du hast die Zähne gezeigt, den Kampf aufgenommen und dich nicht unterkriegen lassen. Jeden Rückschlag hingenommen. Wieder aufgestanden, Mund abgewischt, weitergemacht.
Deine Nachricht war ganz du: Zähne zusammenbeißen, durchbeißen. Kampf aufnehmen. Du magst vielleicht verloren haben, aber das heißt noch lange nicht, dass du einfach hinnimmst, was passiert. So leicht hast du es noch nie jemandem gemacht – noch nicht mal dir selbst.
Du hast geholfen, unsere Gesellschaft ein Stück weit zu verändern. Wie sehr, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Du warst Teil von etwas Großem. Und ich glaube, dass dies auch weiter Früchte tragen wird – egal wie sehr man versucht, diese Arbeit zu negieren.
Du hast das auf deine ganz eigene Art gemacht. Gelächelt, lieb geguckt und unterm Tisch gegen Schienbeine getreten, wo es notwendig war.
Du hast, seit ich dich kenne, einen Mut bewiesen, der jeden Löwen zu einer Miezekatze degradiert. Das heißt nicht, dass du dich nicht manchmal klein gefühlt hast, aufgeben wolltest. Doch du hast diese Phasen genutzt, dich selbst neu zu definieren, dich zusammenzureißen und dann hast du weitergemacht. Den Preis, den du dafür gezahlt hast, der war hoch. Doch ich glaube nicht, dass du es hättest anders haben wollen.
Du sagtest mir, ich soll mich nicht verändern, so bleiben wie ich bin. Das kann ich nicht versprechen. Denn wenn es etwas gibt, was ich verändern möchte, dann ist das weg von „mir“ hin zu mehr „dir“. Zu deiner Art, das Leben zu sehen, zu deiner Art, das Leben zu LEBEN.
Ich glaube, du hast in deine Jahre mehr reingepackt als viele andere in 90 Jahre. Gutes und schlechtes. Trauer und Freude. Liebe und Zorn – und auch Hass, der gehört dazu und du hattest jeden, aber auch jeden Grund dafür.
Doch ich glaube, diesen Hass fühlst du nicht mehr, schon eine ganze Weile nicht. Du bist darüber hinausgewachsen, groß geworden nicht im körperlichen Sinne.
Ich würde dir so gerne wünschen, dass du noch viele Jahre hast, doch wir beide sind Realisten und wissen, dass dem wohl nicht so sein wird. Was dich nicht davon abhalten wird, jeden Zentimeter des Weges kämpfend mit Klauen und Zähnen zurückzulegen.
Also bleibt mir nichts anderes, als dir den Frieden zu wünschen, den du so sehr verdienst. Die Zeit mit deiner Frau, genieße sie. Ich habe immer so gerne gehört, wenn du von ihr gesprochen hast: Voller Respekt und tiefer Liebe, ohne je ein böses Wort zu hören. Ich dachte mir immer: WENN nochmal eine Beziehung, dann bitte eine wie ihr sie habt.
Meine Telefonnummer hast du. Egal welche Uhrzeit und wenn es mitten in der Nacht ist – wenn du oder deine Frau eine Schulter zum Zuhören brauchen, ich bin jederzeit da.
Und es ist so ein beschissenes Gefühl, dass das reichen muss.
Ich hab dich lieb. Richtig lieb.
Veröffentlicht am 4. Oktober 2015, in Trauriges. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 5 Kommentare.
*schnief
ich kenne die Frau nicht, aber ich glaube ich weiß inzwischen einiges über dich. Und so wie du schreibst hat sie auch meinen Respekt verdient.
Alles Gute, wenn man das hier überhapt sagen darf
juergen
Ich hoffe und wünsche, dass es noch genug gute Zeit geben möge. Genug muss nicht heißen viel.
Und ich hoffe und wünsche, dass die Zeit nicht nur aus „Kampf“ bestehen möge.
So ist das Leben – man hat gar keine andere Wahl, als das Beste draus zu machen.
Da hoffe ich mal für die Unbekannte, dass sie noch möglichst viel Positives rausholen kann aus der ihr verbleibenden Zeit. Und dann am Schluß wenig bis gar nicht leiden muß.
verdammt ….
Ich habe World of Warcraft gespielt. Dort war eine in unserer Gilde, mit der ich immer gut auskam und gern gespielt habe. Irgendwann habe ich aufgehört. Ungefähr 2 Jahre später habe ich mal wieder dort vorbeigeschaut. Mit eine der ersten Informationen die ich bekam war, dass Sie ca. 1 1/2 Jahren zuvor an Magenkrebs verstorben ist.
Ich habe Sie zwar nie persönlich kennengelernt, bin aber trotz allem traurig darüber, dass ich mich nicht, wenn auch nur online, verabschieden konnte.