Cover vs. Original


Ich versuche mich an der Stelle mal mit Musikkritik. Persönliches inklusive.

Und da ja neuerdings offenbar der Disclaimer sein muss, damit man sich nicht ständig rechtfertigen muss: Es geht hier um meine sehr persönliche Einschätzung und Interpretation. Sie muss nicht zwingend von den Interpreten auch so getragen werden.

Sound of Silence. Simon und Garfunkel haben einen Song geschaffen, der Gesellschaftskritik und persönliche Beschreibung zugleich sind.

Bislang kenne ich wenig Songs, die eine Depression genauer beschreiben, als es „Sound of Silence“ tut. Die innere Leere, die Antriebslosigkeit, die sich auch auf die Gesellschaft überträgt – wir beten die Neongötter an, die wir selber geschaffen haben und die schon längst jede Bedeutung außer dem, was wir gerne hätten, verloren haben.

Simon und Garfunkels Song war eine Tatsachenfeststellung. Unsere Welt verändert sich auf eine Art, die sie kälter werden läßt und leerer. Die Menschen werden leerer. Dabei wirkt der Song nicht traurig, sondern auf eine für die Zeit recht typische Art esoterisch: Es ist der Lauf der Welt, gegen den kann man nicht ankämpfen, nur mitschwimmen.

Es ist die sanfte Hinnahme des Unabänderlichen.

Doch es geht auch anders.

Disturbed hat eine Version des Songs rausgebracht – und es ist unfassbar, wie sich die Aussage mit einigen wenigen Stilmitteln (Video eingeschlossen) radikal verändert.

Wo Simon und Garfunkel sanfte Hinnahme sangen, kommt Disturbed dies nicht eine Sekunde lang in den Sinn. Ihre Interpretation ist ein machtvoller Kampf gegen die Leere, die Stimme brennt sich in die Seele, läßt keinen Raum für Hinnahme, reißt einen mit in dem Wunsch, diese Leere zu füllen, den „Sound of Silence“ mit Klang zu füllen.

Und was für ein Klang das ist. Die Anfangs samtweiche Stimme prügelt gegen Ende die Noten ins Gehör, getragen von Gitarrenklängen, die auf gar nicht so subtile Weise anders sind.

Wo Simon und Garfunkel das friedliche Wegdämmern besangen, erklären Disturbed den Krieg. Barde gegen Metal. Metal wins.

Simon und Garfunkel sangen linear, es gab keinen Erzählstrang im Song.

Disturbed? Sie fangen relativ mild an, der Narrator erklärt, worum es geht – um dann mit der zweiten Strophe den Handlungsbogen zu spannen und zu einem Ende zu bringen. Das Lied selbst wurde spannend gemacht.

Dazu passt das fesselnde Video, dass die Töne fast greifbar macht und die Stimme nochmal untermalt. Die Welt im Video ist eine zerstörte, graue Wüste, in der sich die Menschen langsam aufrappeln. Das Lied selbst wird zu einem trotzigen „jetzt erst recht“.

Diese Wucht mit relativ einfachen Mitteln zu erzeugen – das zeichnet große Musiker aus.

Es gibt Cover, die dem Original Schande bereiten.

Hier ist das nicht so. Hier ist das Cover um Meilen besser als das Original.

Veröffentlicht am 13. Dezember 2015, in Persönliches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 9 Kommentare.

  1. aussichteinsicht

    Tolle Interpretation! Danke!

  2. Mag beide Versionen nicht 😀

  3. Ich mag beide, und beide sind gut. Aber sie sind so verschieden, dass ich nicht von besser oder schlechter reden mag. Haben beide ihre Berechtigung, wobei man im übrigen auch die Zeit ihrer Entstehung berücksichtigen sollte.

  4. ein anderer Stefan

    Wow. Die Neuinterpretation macht Gänsehaut, vor allem gegen Ende. Die langsame Steigerung fängt einen ein.
    Das Totenschiff am Ende ist stimmig.

  5. Ist ein bisschen wie Äppel mit Birnen vergleichen. Die jeweilige Entstehungszeit ist wohl der Hauptunterschied.

    Ansonsten kenne ich mich mit dem Krankheitsbild Depression glücklicherweise nur theoretisch etwas aus. Aber es muß fies sein.

    Vor ein paar Jahren lief der Film „Melancholia“ in den Kinos. Ausgerechnet im Oktober/November. Kritiker sagten damals, die Darstellungen würden Depressionen „körperlich erfahrbar“ für das Publikum machen und warnten Menschen mit depressiven Verstimmungen sogar vor einem Kinobesuch, um extreme Schübe zu vermeiden.

  6. Die Jungs machen eh gute Musik. Und die Cover sind generell nicht ohne. Habe mir gerade mal wieder das offizielle Video zu ihrem „Land of Confusion“-Cover reingezogen. Trifft den Nagel auch ziemlich gut auf den Kopf…

    • ein anderer Stefan

      Jo, auf das „Land of Confusion“ – Cover bin ich gestern auch gestoßen (was nicht schwer war) – ziemlich gut gemacht. Es ist ja echt selten, dass Coverversionen gut sind, wahrscheinlich weil man meist das Original im Ohr hat, aber die machen das echt gut.

  7. An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich mich mit Vorurteilen ertappt habe. Eigentlich glaubte ich, dass die Version von Disturbed gar nicht so gut sein kann wie das Original. Land of Confusion gefällt mir von Genesis auch besser. Bei Sound of Silence wurde ich jedoch positiv überrascht und bin nun froh es mir angehört zu haben. Danke für den Vergleich!

warf folgenden Kuchen auf den Teller

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