Terror
Es gibt inzwischen zu dem Bubenstück gestern abend einige Reminiszenzen. Die bislang Beste war die von Thomas Fischer, wie gewohnt wortreich und -gewaltig.
Meine fällt etwas anders aus. Ich hab gestern mehrfach gedacht, ich bin buchstäblich im falschen Film.
Zunächst mal: Fischer hat Recht. Das „Terror“-Stück gestern war eines der hinterhältigsten, manipulativsten Stücke, die ich je gesehen habe. Pfui das sowas mit öffentlich-rechtlichen Geldern finanziert werden kann.
Die Grundfrage an sich war meines Erachtens schon falsch gestellt. Es ging um einen Bundeswehrpiloten, der von seinen Oberen in einem INLANDSEINSATZ in die Luft geschickt wurde, um eine Situation zu lösen, die er nicht lösen konnte.
Auf der einen Seite ein vollbesetzter Flieger. Auf der anderen Seite ein ebenso vollbesetztes Stadion. Die Frage, die sich dem Piloten stellte, war: Schieße ich den Flieger ab und rette die Menschen im Stadium um den Preis von Hunderten von Toten, oder lasse ich den Flieger seiner Wege ziehen und hoffe einfach, dass der das Stadion verfehlt und nehme bis zu 70.000 Tote in Kauf?
Alleine diese Fragestellung ist unrealistisch bis zum Überschreiten jeder Schmerzgrenze. Die Bundeswehr dient der Außenverteidigung. Sie hat (noch) kein Inlandsmandat, wenn mir da nicht gepflegt was entgangen ist. Sie hilft mal humnanitär PR-wirksam Säcke schleppen wenn Flüsse über die Ufer treten oder mit Wärmekameras in den Tornados, wenn Kinder vermisst sind. Aber das sind Ausnahmetatbestände, die schon grenzwertig verfassungswidrig sind.
Das gestern war aber nichts dergleichen. Es ging um einen möglichen Terroranschlag und damit war das ein Kampfeinsatz im Landesinneren, „innere Landesverteidigung“ – und dafür haben wir die Polizeibehörden.
Das heißt, nicht der Pilot hätte vor Gericht stehen müssen, sondern die, die ihn da überhaupt erstmal hochgeschickt haben. SIE haben die Entscheidung eines verfassungswidrigen Bundeswehreinsatzes im Inneren getroffen.
Einmal vor die Wahl gestellt, stand der Pilot vor einer Entscheidung, die keine Lösung zuließ. Wie auch immer er sich entscheidet, er hat Menschenleben auf dem Gewissen. Entweder aktiv durch Abschuß des Fliegers oder passiv durch zugucken, ob er das Stadion wirklich trifft.
Dies ist eine Situation ohne Lösung. Es gibt hier keine. Egal, was man tut, irgendwer verliert. Und dann wird das ganze zu einer Gewissensentscheidung.
Es war, glaube ich, der ehemalige Justizminister Baum, der ausdrücklich für solche Fälle eine gesetzliche Regelung forderte. Sosehr ich seine Geradlinigkeit bewundere, hier DARF es keine solche Lösung geben. Nur eine, die jemanden, der von seinen Vorgesetzten zwischen Baum und Borke gesteckt wird, da juristisch ungeschoren herauskommen läßt.
Gewissensentscheidungen werden genau davon getragen: Vom Gewissen. Der erlernten moralischen Grundhaltung. Der Entscheidung innerhalb eines Sekundenbruchteils, in diesem Fall darüber, wer Leben darf und wer zu sterben hat.
Das darf kein Vorgesetzter vorschreiben, es gibt kein Gesetz, das so etwas genau festlegen kann, nach dem Motto: Verhältnis 2:1 ist noch okay, ist es 1:1 oder schlechter, lass den Flieger durchgehen.
Das ist in Gesetz gegossener Zynismus.
Genau hier liegt aber die Manipulation durch von Schirach, dem originalen Autor des Theaterstücks.
Er stellt den Piloten in eine vollendete Situation, in der er nur verlieren kann und fragt dann das Publikum wie einst Kaiser Nero: Daumen hoch oder runter?
Wir sind hier aber nicht im alten Rom. Sondern im Deutschland des 21. Jahrhunderts.
Dieses Szenario blendet die Verantwortlichkeit der eigentlichen Entscheidungsträger völlig aus und lädt die gesamte Last auf die Schultern eines Bundeswehrpiloten, der eigentlich nicht anders entscheiden konnte.
Das ist Manipulation, das ist unwürdiges Herumtanzen um die Frage, wer die Verantwortung trägt und wie man ihr gerecht wird. Der gesamte Affentanz gestern hat nicht einmal die Frage nach den Vorgesetzten und DEREN Verantwortung gestellt.
Veröffentlicht am 18. Oktober 2016, in Innenpolitisches, politisches. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 13 Kommentare.
„Wir sind hier aber nicht im alten Rom. Sondern im Deutschland des 21. Jahrhunderts.“
genau diesen punkt wirft von schirach doch auf. und konfrontiert.
und ich meine ausdrücklich nicht sie, mir sind die argumente mancher kommentatoren: nur juristen hätten über rechtsfragen zu streiten reichlich dünkelhaft. was auch ein dilemma ist.
Fischer hat in seiner Kolumne sehr deutlich gesagt, dass es Aufgabe des Fernsehens gewesen wäre, die komplizierten Rechtsfragen und die Fachsprache allgemeinverständlich runterzubrechen. Das ist schwierig – aber machbar.
In dem Film wurde aber die Rechtslage offenbar gezielt falsch dargestellt. Und DAS ist NICHT Aufgabe des Fernsehens.
Ähem, in diesem Falle hätte der Soldat den Befehl nicht ausführen dürfen, da er offensichtlich rechtswidrig war.
was die genauigkeiten in rechtsfragen angeht: ja.
da der film nichts anderes als das theaterstück in filmform war, hätte das fernsehen („die nachsorge“ plasberg) an der stelle einiges auflösen können, konnte er und wollte er wohl aber nicht. das ist meiner meinung nach der „grandiose“ schwachpunkt des abends.
Einer der vielen, die der Abend hatte, ja.
ich habe es mir nicht angesehen. DIe Abstimmung über internet ist aber Rom im 21. Jh., mit entsprechenden Ergebnissen.
Was dabei zudem ärgerlich ist: Das Ergebnis ist auch Wasser auf den Mühlen derjenigen, die mehr Mitbestimmung des Volkes um jeden Preis unterbinden wollen. Das hat zwar mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun, wird aber trotzdem ziemlich sicher als Argument zum tragen kommen.
Nebenbei bemerkt, wird der Einsatz der Bundeswehr im inneren gerade vorbereitet, es gibt schon gemeinsame Übungen mit der Polizei, natürlich unter dem Vorwand der Terrorabwehr. Terror ist genauso ein Gummibegriff wie Hate Speech, damit läßt sich alles und nichts rechtfertigen.
Hallo,
wir sind nicht immer auf einer Linie, aber diesmal kann ich dir nur zustimmen.
Sorry Tante das ich dir hier komplett widersprechen möchte.
In diesem Theaterstück geht es ausschließlich um das No-Win Szenario des Piloten.
Das da vorher schon sehr viel schief lief, da gebe ich dir absolut Recht, war aber einfach nicht Thema.
Eine passende Analogie wäre meiner Meinung nach, wenn im Fall des Staatsdopings in Russland die Richter des CAS gesagt hätten: „Wir verhandeln zwar gerade den Fall des 100m Sprinters, aber lass uns zuerst die Beteiligung der russischen NADA klären.“
So sehr da etwas auch von oben falsch gelaufen ist, in diesem Fall ging es um den eben auch zu klärenden Fall der persönlichen Schuld des Piloten.
Weiterhin ist das Abfangen von Flugzeugen, die verbotenerweise in den deutschen Luftraum eindringen und gemäß der Einschätzung der (zivilen und polizeilichen) Behören eine Bedrohung darstellen, tatsächlich Aufgabe der Bundeswehr, die einfach als einzige Behörde entsprechend ausgerüstet ist. Die Einsatzleitung obliegt dabei allerdings eben einer nicht der Bundeswehr eingegliederten Stelle. Der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung.
Wo ich dir aber wieder Recht gebe, ist die Einschätzung, dass es für solche Fälle kein Gesetz geben darf. Ein solche solche Gewissensentscheidung muss immer Einzelfallbezogen sein und jedem der sie trifft muss klar sein, dass seine Entscheidung auch für ihn persönlich Konsequenzen haben kann und wird.
Zum Thema Rom des 21. Jahrhunderts:
Tatsächlich ist dieses Theaterstück einfach nur eine (schlechte) Auskopplung von Szenarien mit denen in der Psychologie versucht wird Psychopathen zu diagnostizieren. Ich habe mich selbst schon aus Interesse einem solchen Test unterzogen. Auch andere Szenarien kamen in dem Stück vor.
Was allerdings in dem Stück vollkommen fehlte, aber für das Testszenario absolut entscheidend ist, ist die Begründung, warum man die Entscheidung trifft, wie sie getroffen wurde und das wurde den Zuschauern abgenommen. Das ist meiner Meinung nach die größte Schwäche des Abends gewesen.
@Kleiner_Geist: Es ging nicht um „Schuld“ oder „Unschuld“ – Moralität hat bei Rechtsfragen draußen zu bleiben. Es ging um die Rechtswidrigkeit, die mit Schuld oder Unschuld nix zu tun hat.
Es ging darum, um das Handeln des Piloten rechtswidrig war. War es. Und die Frage, ob diese rechtswidrige Handlung entschuldbar war. War sie.
Daher Freispruch. Das *HÄTTE* man dem Publikum durchaus anders verkaufen können und durchaus differenzierter machen können.
Genau diese Differenzierung hat man aber bewußt außen vor gelassen. Nicht gut.
@SteffKo: Ich kreuz den Tag mal rot im Kalender an *g*
@Tante Jay – „Schuld“ oder „Unschuld“ gilt im Zivilrecht nicht, im Strafrecht aber sehr wohl. Zivilrecht kümmert sich nur um den Schadensausgleich im Sinne von Haftpflicht.
Das Strafrecht übernimmt die formalisierte Rolle der Moral. Beispielsweise unterscheidet es fein nach Absicht, Fahrlässigkeit, Schuld(un)fähigkeit, oder wie vorliegend um Dilemma.
Ich habe Fischers Kolumne seit einiger Zeit auf der Lesezeichenliste und mich dabei konkret weitergebildet … und keinen Kreuzer bezahlt 😉
noch ein Einwand zur Praxis: es mag zwar sein, daß für ‚innere Unruhen‘ die Polizei zuständig ist – und so soll es auch sein. Praxis ist jedoch bei der Luftverteidigung, daß die ersten, welche Unstimmigkeiten entdecken, die zivile Flugsicherung ist – die wendet sich an die militärische Flugsicherung und damit liegt die Zuständigkeit bei der Luftwaffe. Die Polizei besitzt keine Abfangjäger – und ihr wärt überrascht, wie oft es geschieht, daß Militärjets, weil die Crew sich nicht angemeldet und das Luftrecht verletzt hat…
Wenigstens bei der Bundeswehr sitzen in den Kampfjets Zeit-/Berufssoldaten, mindestens im Range eines Leutnants – Offizier wird nur, wer sich entsprechend bildet.
Eine Entscheidung zum Abschuß wird ein Soldat niemals alleine treffen – und wenn doch, wird er eindeutig zum Täter – eine Wahl zu Gunsten des kleineren Schadens gibt es nicht – höchstens im Strafmaß eine Begünstigung.
Und der aufgezeigte Fall ist klar ein Grund zur straflosen Befehlsverweigerung.
Mir kommt es fast eher so vor, als wäre diese ‚Aufführung‘ eine Meinungsumfrage in der Bevölkerung gewesen, um der Politik zu zeigen, was möglich wäre… mich würde zu dem Fall brennend die Meinung des Hrn. Voßkuhle interessieren 🙂
Die grundsätzliche Zuständigkeit der Bundeswehr im Inland für derartige Einsätze in der Luft ergibt sich aus dem Luftsicherheitsgesetz. Es lag damit also kein „verfassungswidriger Einsatz der Bundeswehr“ vor, weil man da einen Piloten der Bundeswehr hingeschickt hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich § 14 des Luftsicherheitsgesetzes für nichtig erklärt, weil dort der Abschuss entführter Maschienen auf unzulässige Weise geregelt ist.
Fischer hat in seiner Kolumne – für alle nachvollziehbar – dargelegt, dass die Schuldfrage nach unserem Recht klärbar war. Die Behauptung der Fernsehfuzzis, es gäbe keine rechtliche Lösung, ist also schlicht falsch.
Dem Dilemma unterlagen nicht die Zuschauer, sondern – in der Vergangenheit – der Pilot Koch.
Fischer schlussfolgert: die Zuschauer wurden verarscht nach Strich und Faden. Ich kann seinen Argumenten nur folgen.